Warum der Synodale Weg... 2/6

Die Kirche des Synodalen Weges

 

Schauen wir zunächst darauf, was das für eine Kirche ist, die entstehen wird, wenn der Synodale Weg an sein Ziel kommen sollte. Der Synodale Weg selber lebt sowohl von der "geistlichen Begleitung" wie von der "theologischen Diskussion". "Es gibt keinen synodalen Weg ohne Gottesdienst und Gebet. Es gibt auch keinen ohne Beraten und Entscheiden" (Orientierungstext, Zeile 88). Es entspricht der Freiheit in Christus (Gal 5,1), dass es dabei "keine Denk- und Sprechverbote, keine Angst vor Sanktionen oder Diskriminierungen geben darf". (93). Mit dieser Selbstbeschreibung ist bereits eine wichtige Aussage über die Kirche getroffen - sie verträgt sich mit so etwas nicht, es widerspricht ihrem Wesen. Diese Theologische Diskussion schöpft "aus den Quellen der Erkenntnis der Offenbarung", "die für das Leben der Kirche maßgeblich sind". (98) Sie sind "Orte der Theologie" (99), aber auch "Zeiten der der Theologie" gehören dazu, das "Heute" der Stimme Gottes. Hier lässt sich ausmachen, "was Gott auf menschliche Weise Menschen sagen will und was Menschen im Glauben als Gottes Wort hören". (103)

 

Es werden sechs solcher Orte aufgezählt, die zusammenwirken: Die Heilige Schrift, die Tradition, die Zeichen der Zeit, der "Glaubenssinn des Volkes Gottes", das Lehramt und die Theologie. "Kein Ort kann die anderen Orte ersetzen; alle brauchen die wechselseitige Unterscheidung und Verbindung." (111) Die "Heilige Schrift als höchste Richtschnur und die lebendige Tradition" sind grundlegend und wegweisend. "Schrift und Tradition" werden dabei grundsätzlich zusammen genannt, "in der Tradition erschließt sich der Sinn der Schrift, in der Schrift der Sinn der Tradition". (150) Schrift und Tradition bilden keinen Gegensatz, denn die Schrift selbst ist Tradition, "weil sie in der lebendigen Überlieferung der Kirche gebildet worden ist, die im Judentum wurzelt". "Deshalb gilt es, die Heilige Schrift im Licht der Tradition und die Tradition im Licht der Heiligen Schrift zu lesen und zu deuten." (151) Der Schrift kommt dabei als Richtschnur eine besondere Bedeutung zu. Vielen aber ist sie nur schwer zugänglich, deswegen sind "gute Erklärungen" wichtig. (179) Wichtig ist, "niemals am Buchstaben der Bibel zu kleben", sondern den Geist zu atmen, der lebendig macht. Sie offenbart "grundlegend", "wie der Glaube entsteht und sich zeigt". (182)

 

"Die Bibel muss gedeutet werden, damit die rettende Macht des Evangeliums verkündet werden kann"(249), deswegen ist die Geschichte der Kirche auch eine Geschichte der Schriftauslegung, deren Ziel es ist, immer im "Heute" die Stimme Gottes zu hören. Dazu braucht es Kriterien: der ursprüngliche Sinn der Schrift, die Einheit der ganzen Schrift und der Zusammenhang mit der Tradition der Kirche. (258) Die Deutung der Bibel "ist die Sache aller, die die Bibel lesen, sie ist Sache der Kirche, der Theologie und nicht zuletzt auch Sache des Lehramtes, dessen Aufgabe es ist, "das geschriebene wie das überlieferte Wort Gottes verbindlich zu erklären". (281) Sie ist "kirchliche Instanz, die es… zu hören und zu befolgen gilt"(283); dabei hat sie jedoch "die Freiheit der theologischen Forschung und den Glaubenssinn der Gläubigen zu respektieren und zu nutzen". (278)

 

Auf dem Weg der Kirche durch die Zeit entsteht die Tradition der Kirche, "die keine starre, sondern eine lebendige Größe" ist. (292) Deswegen ist "Reform… ein integraler Bestandteil der Tradition". (315)  Neue Entdeckungen, Einsichten und Erfahrungen fordern den überlieferten Glauben heraus und verlangen nach neuen Antworten. Die Tradition muss weiterentwickelt und immer wieder neu entfaltet werden. "Die" Tradition existiert in den vielen Traditionen, aber damit sie in ihnen erkannt wird, bedarf es der Traditionskritik im Sinne der ständigen Neuorientierung der Kirche am Zeugnis der Schrift angesichts der Zeichen der Zeit. (350)

 

Hier nun wird ein Begriff eingeführt, der uns Evangelischen nicht geläufig ist, der "Glaubenssinn des Volkes Gottes": "Entscheidend ist die Gemeinschaft, die im Glauben gebildet wird, von Generation zu Generation und von Ort zu Ort. Deshalb ist die Tradition untrennbar mit dem Glaubenssinn des Volkes Gottes (sensus fidei fidelium) verbunden: Im Glaubenssinn des Gottesvolkes kommen Schrift und Tradition zur Geltung: Sie werden erkannt und vergegenwärtigt. Der Glaubenssinn seinerseits schreibt die Tradition der Kirche in jeder Gegenwart fort, indem er am Zeugnis der Heiligen Schrift Maß nimmt und die Zeichen der Zeit deutet." (355)

 

Der Glaubenssinn des Volkes Gottes spiegelt also nicht nur Schrift und Tradition wieder, er achtet darüber hinaus auf die "Zeichen der Zeit" und bringt sie mit Schrift und Tradition in Verbindung: "Die Zeichen der Zeit stehen für Momente, in denen sich etwas Bedeutsames offenbart und zur Entscheidung zwingt. Sie stehen für ein Zeitfenster, ein Momentum, einen Kairos." (425) "Die Kirche hat die Aufgabe, Zeugnis von der Wahrheit Gottes abzulegen. Das kann sie nur, wenn sie neben Schrift und Tradition auch die Zeichen der Zeit sorgfältig nach den Spuren Gottes heilsam-befreiender Gegenwart befragt und auslegt. (389) Dazu bedarf es des Zusammenspiels aller genannten Orte und Quellen des Glaubens. Das Lehramt kann sich nicht einfach über den Glaubenssinn hinwegsetzen, es hat die Aufgabe, "auf die Konsistenz und die Anschlussfähigkeit zum Bekenntnis des Glaubens zu achten", während die Theologie "den Anschluss an die Erkenntnisse, die im Diskurs der Wissenschaften… in die Deutung aller Zeichen der Zeit einfließen" sichert. Der Glaubenssinn besteht also "nicht nur in dem, was die kirchliche Lehre übermittelt. Er ist auch weit mehr als die Intuitionen von Gläubigen, die den Wahrheitsgehalt der Schrift, der Tradition oder der kirchlichen Lehre zu erspüren vermögen," er verbindet Leben Glauben. (526) "In diesem geistlichen Geschehen machen sich die Gläubigen den Wahrheitsgehalt von Schrift, Tradition oder Zeichen der Zeit aus innerer Überzeugung zu eigen." (539)

 

Die Einheit der Kirche, nicht mit Uniformität zu verwechseln, wird durch "das sakramentale Amt des amtlichen Priestertums" gewährleistet. "Darin dient es dem gemeinsamen Priestertum aller Getauften und Gefirmten."(547) Das heißt aber, dass "um diese Einheit immer gerungen werden" muss, vor allem dann, wenn "eine kirchliche Lehre von einem gewichtigen Teil des Volkes Gottes… nicht angeeignet wird. "Auch hier kann der Glaubenssinn der Gläubigen aufscheinen." (556) Er äußert sich in der "Wahrheit des Gewissens", das "jeden Menschen höchstpersönlich mit dem unmittelbaren Anruf Gottes" konfrontiert und in dem sich  die Vernunftnatur des Menschen und seine Teilhabe "am Licht des göttlichen Geistes" verwirklicht. Die Bischöfe dienen "als Anwälte der Einheit… der Gewissensbildung jeder und jedes Einzelnen". (613) Die Tradition spricht im Blick darauf von einem "sentire cum ecclesia" (640); dieses "Fühlen mit der Kirche" und der sensus fidei müssen von Lehramt und Theologie ernst genommen werden. (648) Das durch den Papst wahrgenommene universale Lehramt wird auch unter dessen Leitung auf kollegiale und konziliare Weise durch die Gesamtheit der Bischöfe ausgeübt". (658) Irrtumslose Entscheidungen sind "die absolute Ausnahme" (669). "Die Theologie als Wissenschaft in ihrer exegetischen, historischen, systematischen und praktischen Ausprägung gehört wie die Heilige Schrift und die Tradition zusammen mit dem Glaubenssinn aller Gläubigen und dem Lehramt zu den Bezeugungsinstanzen und Identifikationsorten des Glaubens der Kirche." (776)

 

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