"Evangelisch, rheinisch, zukunftsfähig" - Kommentar zum Präsesbericht 2022 und zu "E.K.I.R 2030" (5/6)

In dem E.K.I.R.-2030-Papier soll vieles "gestärkt"  werden:

  • Die Zukunftsfähigkeit der Kirche soll gestärkt werden.
  • Die Servicefreundlichkeit der Kirche soll gestärkt werden.
  • Die Verbundenheit mit den Nichtmitgliedern soll gestärkt werden
  • Eine servicefreundliche, qualitätsvolle und vielfältige Kasualpraxis soll gestärkt werden.
  • Eine "gemeindliche Biodiversität" anstelle einer kirchlichen Monokultur soll gestärkt werden.
  • Die Vernetzung mit ökumenischen und zivilgesellschaftlichen Partnern soll gestärkt werden.
  • Die Ausrichtung der kirchlichen Strukturen an die Wünsche der Kirchenmitglieder soll gestärkt werden.
  • Der Protestantismus soll gestärkt werden, u. a. m.

Von der Stärkung des Glaubens - vgl. Lukas 17,5 - ist jedoch nicht die Rede. Die Autoren werden Wert darauf legen, dass es doch um nichts anderes gehe und dass die Kirche doch dem Glauben diene. Daran besteht gewiss kein Zweifel. Aber die Rede ist davon dennoch nicht. Sie ist kein Kriterium. Die zu erreichenden Ziele werden sehr genau definiert. So soll ein Presbyterium 90% seiner Zeit auf Kontakt zu Menschen und geistlich-inhaltliche Prozesse verwenden und zum Kristallisationspunkt lokaler Mitmachnetzwerke werden. "30 Menschen unter 30" sollen an der Verkündigung Anteil haben. Möglichst alle Haushalte der Mitglieder sollen besucht werden. Die Wahlbeteiligung soll auf 20% erhöht werden. Eine Mitglieder-App soll Kommunikationsbausteine und automatische Erinnerungen liefern. Ein "Think Tank Digitale Kirche" mit "digital affinen Synodalen und Expert-/innen" soll für "professionelle Kommunikation im Netz auf allen Ebenen" soll eingerichtet werden.

 

Das ist nur eine Auswahl der Projekte und Vorhaben. Ich erlaube mir hier kein Urteil, ob das alles so realistisch und umsetzbar ist, was da geplant wird. Ich vermute, es gibt genügend kluge, motivierte und entschlossen Menschen in der Kirche, die in der Lage sind, eine Menge davon umzusetzen. Aber eine Antwort auf die Frage, ob damit der Glaube gestärkt wird, ist damit noch nicht gegeben. Um es drastisch zu formulieren: Die Stärkung des Glaubens ist auf eine servicefreundliche, qualitätsvolle kirchliche Praxis mit gemeindlicher Biodiversität und der Ausrichtung der kirchlichen Strukturen an den Wünschen der Kirchenmitgliedern u. dgl. nicht angewiesen. Sie braucht etwas anderes: Als die Jünger Jesus baten: Stärke uns den Glauben - hätte Jesus ja auch mit der Schaffung geeigneter kirchlicher Strukturen oder der Initiative zum Gemeindeaufbau antworten können. Stattdessen ist die Kirche und sind kirchliche Strukturen so gut wie nie Thema in seinen Worten. Auch der Heilige Geist hat zu Pfingsten - das gerne "Geburtstag der Kirche" genannt wird - keine fertige Kirche oder Kirchenordnung präsentiert. Die Kirche ist nach und nach in z. T. sehr mühseligen und konfliktreichen Prozessen gewachsen - als Folge, nicht als Voraussetzung des Glaubens.

 

Seine Antwort auf die Bitte der Jünger muss nicht jedem sofort einleuchten: "Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn…" Glauben wird hier wie ein Lebewesen gedacht. Alles was lebt, fängt winzig klein an, oft so klein, dass man es mit bloßem Auge nicht erkennen kann. Aber wenn es zu leben angefangen hat, entwickelt es Eigendynamik. Es lebt gewissermaßen von selbst. In der Anfangsphase ist es noch sehr fragil und gefährdet. Ob es lebensfähig ist, ist noch längst nicht ausgemacht. Es braucht geeignete Wachstumsbedingungen, Zuwendung und Achtsamkeit. Aber je länger es die Chance hat zu leben, desto kräftiger und robuster wird es.

 

Auch die Anfänge des Glaubens sind winzig. Aber nicht alles, was winzig ist, ist deswegen schon Glauben. So winzig, wie er anfängt, soll der Glaube auch nicht bleiben (Lk 13,19; Mk 4,32). Die Kirche erwächst aus dem Glauben, sie ist seine Frucht. Sie ist nicht Voraussetzung für den Glauben, sondern der Glaube ist die Wurzel, die Voraussetzung für die Kirche. Wenn Jesus die Bitte seiner Jünger erfüllt und ihren Glauben stärkt, schafft er damit ist das Fundament, auf dem die Kirche steht. Einzig, dass die Jünger Jesus bitten, ihren Glauben zu stärken und Jesus auf ihre Bitte eingeht, führt zu Wachstum und Gedeihen der Kirche. Das Senfkorn des Glaubens ist zugleich auch das Senfkorn der Kirche. Sie erwächst geradezu zwangsläufig aus einem lebenden, gedeihenden und wachsenden Glauben.

 

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