"Evangelisch, rheinisch, zukunftsfähig" - Kommentar zum Präsesbericht 2022 und zu "E.K.I.R 2030" (4/6)

Dass aber die regionale und landeskirchliche Ebene eine solches Schwergewicht - auf Kosten der Ortsgemeinde(n) - bekommen hat, ist eine Entwicklung, die schon seit einiger Zeit zu beobachten ist. Sie hat damit zu tun, dass bei uns eben nicht - wie das Papier dreist behauptet - "unten oben" ist und unsere Landeskirche eben nicht - "zutiefst unhierarchisch" ist. Das glatte Gegenteil ist der Fall, wofür das Positionspapier selbst eindrucksvoller Beweis ist. Es bringt nämlich ausschließlich das zur Sprache, was für die Kirchenleitung selbst notwendig und von Interesse ist. Es nimmt alle Ebenen des kirchlichen Lebens, also auch die Gemeinden, in Anspruch, um die beschriebene Ziele zu erreichen und die dafür nötigen Umsetzungen vorzunehmen. Damit missbraucht sie die Gemeinden, die mit ihren ureigenen Aufgaben schon vollumfänglich ausgelastet sind. Weitere Aufgaben können sie nicht übernehmen. Die Gemeinden haben nicht den Auftrag, der Kirchenleitung zu dienen, vielmehr dienen umgekehrt Kirchenleitung und Kirchenkreise den Gemeinden, damit sie ihren Auftrag erfüllen können. Die Gefahr der Überforderung der Beteiligten ist groß, was den angestrebt Aufbruch, wie schon angedeutet, sehr schnell stocken lässt.

 

Die Landeskirche als eine demokratische Veranstaltung zu beschreiben ist, vorsichtig ausgedrückt, eine maßlose Übertreibung. Das beginnt schon damit, dass viele Presbyterien nicht gewählt sind, und zwar immer dann nicht, wenn nicht genügend Kandidierende sich zu Wahl gestellt haben, was häufig der Fall ist. Zwischen den Wahlen können die Presbyterien sich per Kooptation selbst ergänzen (man stelle sich dieses Verfahren in Bundestag, Landtag, Stadt- oder Gemeinderat vor…). Die Sitzungen sind in aller Regel nicht öffentlich, die Mitglieder der Presbyterien in aller Regel zur Vertraulichkeit verpflichtet. Beschlüsse sind nach Möglichkeit "einmütig" zu fassen - wer will es sich da antun, als Quertreiber dazustehen, und dass es zu Streit kommt, ziemt sich nicht. Die Gemeindeöffentlichkeit kann informiert werden, muss aber nicht. Das Leitungsgremium muss sich nicht der Öffentlichkeit nicht stellen, wenn es irgendwann mal unbequem werden sollte. Es muss keinen Rechenschaftsbericht geben, wie es sonst jeder Vereinsvorstand tun muss. Die Intransparenz presbyterialer Arbeit ist in der Kirchenordnung schon festgeschrieben. Weiter geht es auf der synodalen Ebene: Pfarrerinnen und Pfarrer sind ohnehin geborene Mitglieder - warum eigentlich? - und die anderen sind ebenfalls nicht gewählt, nur delegiert, von Presbyterinnen und Presbytern, die meist selbst nicht gewählt sind. In der Landessynode sind die Verhältnisse entsprechend. Dass der Präses auch die Landessynode leitet, ist im Sinne demokratischer Gepflogenheiten ein Unding (das wäre genauso wie wenn der Bundeskanzler zugleich Präsident des Bundestags wäre). In der Gründungsphase der Rheinischen Kirche nach dem Krieg wollte man nicht von Demokratie sprechen. Man fürchtete nach den Erfahrungen des Dritten Reiches eine "Verpolitisierung" der Kirche. Solche Verhältnisse führen dazu, dass Presbyterien und Synoden eine Welt für sich sind. Untereinander versteht man sich bestens, und das schon seit Jahren oder Jahrzehnten. Nach außen hin bleibt man aber lieber unter sich und schafft sich so eine ganz eigene Binnenwelt. Hinzu kommt: Je weiter sich die kirchlichen Aktionszentren von der Ortsgemeinde entfernen, umso größer wird die Komplexität der dazu benötigten Administration, ebenso die dafür nötige fachliche Kompetenz und damit der dazu erforderliche finanzielle Aufwand. Deren Eigendynamik wächst ebenfalls wie auch deren Fähigkeit, die Entscheidungsgremien mit ihrer Professionalität zu beeindrucken oder gar einzuschüchtern, so dass diese nur noch abnicken (können), was sie ihnen vorgibt. Dass in solcher Atmosphäre die Ballung kirchlicher Macht auf regionaler, kreis- und landeskirchlicher Ebene auf Kosten der Mündigkeit der Ortsgemeinden prächtig gedeiht, ist alles andere als verwunderlich und zweifellos einer der Gründe einer weit verbreiteten Kirchenmüdigkeit zumindest außerhalb dieser Sphären.

 

Jeder Versuch, an solchen Missständen vorbei aufzubrechen, dürfte stecken bleiben.

 

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