"Evangelisch, rheinisch, zukunftsfähig" - Kommentar zum Präsesbericht 2022 und zu "E.K.I.R 2030" (3/6)

Die Frage, ob wir uns eher als kundenorientierte Dienstleistungskirche verstehen oder als Kirche des Priestertums der Getauften hängt ganz eng damit zusammen. Die Taufe begründet, unverlierbar und unaufhebbar, die Mitgliedschaft in der Kirche, aber sie stellt zugleich den Ruf dar, das Priestertum der Getauften wahrzunehmen. Genauso, wie alle von der Demokratie profitieren, obwohl nur ein kleiner Teil der Bevölkerung freiwillig etwa durch Mitgliedschaft in einer demokratischen Partei sich aktiv für sie engagiert, wird je nur ein kleiner Teil diesen Ruf ins Priestertum der Getauften annehmen. Aber für eine verlässliche Präsenz der Kirche in der Öffentlichkeit sind sie unentbehrlich.

 

Eine kundenorientierte Dienstleistungskirche, die sich durch "Service-Freundlichkeit" auszeichnet, sich etwa als "regionale Kasual-Agentur" versteht und neben Taufe, Trauung, Trauerfeier "weitere Angebote liturgisch-seelsorgerlicher Lebensbegleitung" anbietet ("z. B. Schulabschluss, Berufstart, Umzug, Ruhestand"), verlangt Professionalität, eine Logistik und organisatorische Voraussetzungen, die nicht von den Ortsgemeinden und also auch nicht vom Priestertum der Getauften geleistet werden können. Es käme noch oben drauf auf das, was in den Gemeinden ohnehin geleistet wird und ist natürlich mit entsprechen Kosten verbunden. Auch für andere der genannten Projekte ist ein erhebliches Maß an Professionalität erforderlich. In dem Maße aber, in dem die Professionalisierung des kirchlichen Lebens vorangetrieben wird, wird das Priestertum der Getauften entbehrlich, und damit geht ein zentrales Element evangelischer Kirchlichkeit verloren, und auch mit der Stärkung eine "gemeindlichen Biodiversität" ist das kaum zu vereinbaren, denn diese wäre zwingend auf ein starkes und selbstbewusstes Priestertum der Getauften angewiesen.

 

Dass dafür "eine Stärkung von Regionen und Kirchenkreisen… ebenso notwendig wie eine stärkere  Kooperation von Kirche und Diakonie…" vonnöten ist (an Stelle "kirchlicher Kleinstaaterei") liegt auf der Hand, ebenso, dass das auf Kosten der Autonomie der Ortsgemeinden geht, denn die müssen Finanzen und Handlungsmöglichkeiten an höhere kirchliche Leitungsebenen abgeben und sich in regionale Strukturen einbinden lassen, so dass die Ortsgemeinden sehr schnell zu deren lokale Agenturen degradiert werden.

 

Das Priestertum der Getauften kann dagegen nur auf Ebene der Ortsgemeinden, im Rahmen von Netzwerken aus gewachsen und wachsenden persönlichen Beziehungen in vertrauter Umgebung, geprägt verlässlichen Gepflogenheiten und Ritualen gedeihen. Nur vor Ort können die einzelnen Gemeindeglieder ihre Verantwortung wahrnehmen. Das werden sie auch dann tun, wenn sie spüren, dass das Wohl und Gedeihen des Gemeindelebens auch von ihrem verbindlichen Engagement angeht. Das betrifft auch das finanzielle Engagement. Die Bereitschaft dazu wäre ungleich größer als bisher, wenn sich die Gemeindeglieder auch finanziell für ihren Ort, für ihre Gemeinde, für ihre Schwestern und Brüder engagieren können, statt lediglich eine "Steuer" einer für sie reichlich anonymen und ferngerückten Größe wie Landeskirche oder Kirchenkreis zukommen zu lassen. Jede Stärkung der regionalen Ebenen muss zwangsläufig auf Kosten der Ebene der Ortsgemeinden und damit des Priestertums der Getauften gehen. Wir werden uns die Frage stellen müssen, ob das gewollt ist.

 

Einige der Impulse des Papiers gehen in diese Richtung, die "freie Gemeindewahl unter Mitnahme der Kirchensteuern" etwa oder das, was zu den Stichworten "Mixed economy" und "Biodiversität" aufgeführt wurde. Auch die die Ansiedlung von Pfarrstellen auf Kirchenkreis-Ebene ist durchaus zu erwägen, da die Verbindung von (Gemeinde-)Pfarramt und Gemeinde keineswegs zwingend ist und die Selbstverantwortung der Gemeinden eher betont als beeinträchtigt. Das darf nur nicht zur Bildung von Regionalgemeinden o. ä. führen.

 

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