Mt 11,2-10 - 3. Advent (VI)

(Lutherbibel)

 

Über der Geschichte liegt eine gewisse Tragik. Inspiriert von der Botschaft des zweiten Jesaja ruft der Prophet Johannes, "der Täufer" genannt, zu Wegbereitung für das Kommen Gottes - in Gestalt seines Messias - auf. Es ist ein Unterschied, ob Gott kommt, wenn er erwartet wird, wenn ihm also der Weg bereitet wird, oder ob er völlig unerwartet unter uns erscheint. Ein erwarteter Besuch ist etwas sehr Erfreuliches; ein unerwarteter Besuch - in aller Regel - etwas sehr Unangenehmes. Johannes kündet das Kommen Gottes an - und aktualisiert dazu die Botschaft des zweiten Jesaja, die zu dieser Zeit auch schon mehrere Jahrhunderte alt ist. Johannes tut alles dafür, dass Gott erwartet, begrüßt, willkommen geheißen wird. Er tut alles dafür, dass Gott unerwartet erscheint. Das wäre furchtbar. Wir können Gott nicht herbeizwingen, aber wir können uns auf sein Kommen einstellen. Alles, was wir in unserer Kirche und in unserem Glaube tun, dient der Wegbereitung für das Kommen Gottes, damit wir ihn gebührend empfangen und überhaupt wahrnehmen, wenn er erscheint. 

 

Aber der Täufer geht davon aus, dass Gott zu seinem Volk kommt, zu Israel. Er will seine Volksgenossen darauf vorbereiten. Auf der Evangelist Matthäus geht davon aus, dass es ursprünglich von Johannes so gedacht war. Johannes geht nicht davon aus, dass aller Völker angesprochen sind. Es geht um ein erneuertes und "verbessertes" (Mt 5,20) Israel, das die Tora ernst nimmt. 

 

Dann gerät er ins Gefängnis und hört von Jesus und fragt sich, ob er das ist, den er angekündigt hat. Jesus sagt nicht "Ja" oder "Nein", sondern Johannes - wie auch alle anderen, die ihm begegnen -sollen sich selbst ein Urteil bilden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich Jesus auch an Israel gewandt. Doch deuten schon dieses Wort des Johannes an, dass die Grenzen Israels auch überschritten werden können: "Denkt nur nicht, dass ihr bei euch sagen könntet: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott vermag dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken."  Aber auch Jesus hat - zunächst - Israel im Blick, nicht die Völker. Der Evangelist Matthäus hatte wohl ursprünglich genauso in Jesus den Erneuerer jüdischen Glaubens gesehen. Die Ablehnung, auf die er in Israel stößt, macht die Völker, gewissermaßen nachträglich, zum Adressaten der Botschaft des Täufers: "Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker" (Jesaja 2,4, vgl. Sacharja 8,20-23). Das aber darüber zu einem tiefen Riss zwischen Israel und "den Völkern" gekommen ist, war in diesen prophetischen Worten - und auch in der Botschaft des Täufers - nicht angelegt. Aber so sehr Matthäus ein erneuertes und "verbessertes" Israel im Blick hat, so hat er von Anfang an die ganze Welt, "die Völker", im Blick. Die Weisen aus dem Osten an der Krippe Jesu sind deren Repräsentanten. Die im Stammbaum Mt 1,3-6 erwähnten Frauen sind alle Nicht-Jüdinnen. Aber schon in Mt 10,17 und 23,34 deuten die Spannungen sich an. Und schließlich mündet gerade das Matthäus-Evangelium in den Auftrag zu der an die ganze Welt adressierten Mission (Mt 28,16-20). Das es zu diesem tiefen Riss zwischen Judentum und Christentum, der gewiss die Wurzel des kirchlichen Antisemitismus bildet, nicht zwingend kommen musste, zeigt dieses Chanukka-Konzert im Dezember 2023 in der Park Synagogue New York unter Beteiligung von New Yorker Kirchen (knapp 90 Minuten).

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