Übungen zum Glauben und wie man ihn teilt

Der christliche Glaube kann nicht leben, wachsen und gedeihen, wenn die Glaubenden damit allein bleiben. Er muss geteilt werden, was im Wesentlichen auf mehrfache Weise geschieht, und zwar durch gegenseitiges Erzählen und Zuhören, durch bewusstes Wahrnehmen der Menschen im eigenen Lebensumfeld (die Jesus die “Nächsten” nennt), durch das Gebet für sie und durch gemeinsame Verabredungen.

 

Indem wir uns gegenseitig erzählen und zuhören, nehmen wir gegenseitig Anteil aneinander und an unserem Glauben und Unglauben. Die Bibel ist durch Erzählen entstanden und hat zunächst nur mündlich existiert, bevor irgendjemand die Erzählungen schriftlich fixiert hat. Aus diesen Erzählungen ist sie hervorgegangen. Erzählungen stehen am Anfang der Geschichte unseres Glaubens. Menschen glaubten, indem sie sich gegenseitig erzählten und zuhörten. Sie erzählten sich ihre Geschichten, weil sie etwas wesentliches über sich und ihr Leben zur Sprache brachten. Indem sie einander erzählten, haben sie ihren Glauben geteilt. So wurde er zu ihrem gemeinsamen Glauben. Glaube ist nicht etwas, was jeder für sich hat und den anderen nichts angeht (“Glauben ist Privatsache”), vielmehr haben wir den Glauben gemeinsam und teilen ihn miteinander. Lebendig und kräftig kann der Glaube sein, wenn er geteilt wird. Glauben ist also nicht abstraktes Philosophieren oder Theoretisieren, ebenso wenig, wie die Bibel kein Lehr-, vielmehr ein Geschichtenbuch ist, ein Erzählbuch. Aus den vielen Geschichten, sowohl denen in der Heiligen Schrift wie denen, die wir uns gegenseitig erzählen, setzt sich die eine große Geschichte Gottes mit den Menschen zusammen.

 

Wir teilen unseren Glauben, indem wir, inspiriert durch die biblischen Geschichten, ihn uns gegenseitig erzählen. Aber dass wir überhaupt glauben, zum Glauben gekommen sind, hat in aller Regel damit zu tun, dass Menschen uns wahrgenommen haben und sich für uns interessierten. Auf normale Weise erfahren wir das Interesse Gottes an uns durch das Interesse der Menschen, die sich für uns interessieren. Menschen, die von Menschen ernst genommen werden, fühlen sich auch von Gott ernst genommen und werden dazu ermutigt, ihrerseits Gott ernst zu nehmen. Das Interesse für die “Nächsten” ist frei von missionarischem Zweckdenken (“ich interessiere mich für sie, damit sie zum Glauben kommen”); es geht absichtslos um diese Menschen selbst. Sie werden geachtet und beachtet – das gehört zu den “Grundnahrungsmitteln”, ohne die Menschen kaum existieren könnten. Durch diese gegenseitige Achtsamkeit entsteht mit der Zeit ein Netzwerk von Beziehungen, das mit dem Begriff “Gemeinde” (also das, was allen “gemein” ist), umschrieben werden kann. Es ist aber nicht nach außen abgegrenzt, sondern, im Gegenteil, nach außen vernetzt. Wir schotten uns nicht ab und bleiben nicht unter uns, auch wenn wir immer wieder einmal den Rückzug brauchen. Aber wir bleiben mit unserem Bekenntnis klar erkennbar. Wir verstecken unseren Glauben nicht, sondern legen darüber Rechenschaft ab, immer wenn wir danach gefragt werden oder wenn sich das aus der jeweiligen Situation ergebt. Wir geben unseren Glauben weiter, indem wir Anteil nehmen und an uns Anteil nehmen lassen. Wir drängen uns nicht auf, aber wir bekennen uns, wenn wir gefragt sind. Denn "ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen?" (Mt 5,13).

 

Seine Qualität erhält dieses “Gemeinde” genannte Netzwerk durch die gegenseitige Fürbitte. Wir beten füreinander und wissen, dass andere für uns beten. So wächst auch Gemeinschaft, die nur möglich ist unter Menschen, die sich "kennen", also von ihrer jeweiligen Geschichte wissen. Die Wirkung des beständig gepflegten Fürbittengebetes kann nicht hoch genug eingeschätzt werden und trägt in hohem Maß zu Stabilität und Lebendigkeit einer Gemeinde bei. Die Geschwister und die “Nächsten” bleiben so im Bewusstsein und werden davor geschützt, in Vergessenheit zu geraten. Das Fürbittengebet (oder “allgemeines Kirchengebet”) im öffentlichen Gottesdienst kann diese persönliche Art und Weise des Fürbittengebetes so nicht übernehmen, hier müssen die formulierten Bitten naturgemäß allgemeiner formuliert werden. Es können um des Schutzes der Privatsphäre willen hier keine Namen genannt werden. Das persönliche Fürbittengebet hat seinen Ort in der persönlichen Gebetszeit der Einzelnen und in der Gemeinschaft etwa eines nichtöffentlichen Hausgottesdienstes.

 

Am Anfang der Kirchengeschichte in Jerusalem – ich hatte schon darauf hingewiesen - bestand die Kirche aus über die Stadt verteilte Tischgemeinschaften, die sich im Wohnzimmer eines der Christinnen oder Christen trafen. Dadurch hat der Gottesdienst eine ganz andere Qualität als der öffentliche Gottesdienst, da hier jeder mit jedem interagieren und alle aufeinander reagieren können. Deswegen ist dieser Gottesdienst in der Tischgemeinschaft im Blick auf Form und Ablauf nicht so festgelegt wie der öffentliche Gottesdienst. An die Stelle der in der Regel monologischen Predigt tritt die Erzählgemeinschaft. An die Stelle des fest formulierten Fürbittengebetes hat jeder die Möglichkeit, sich mit seinen Gebetsanliegen einzubringen und zu Wort zu melden. Auch für Anwesende kann hier gebetet werden, auch in Gestalt einer Segnung oder eines Gebetes um Rückenstärkung (bei dem eine oder mehrere Personen der Person, für die gebetet wird, die Hand auf Rücken oder Schulter legen).

 

Um das Teilen des Glaubens einzuüben, verabreden die Teilnehmenden, sich gegenseitig von ihrem Glauben – oder auch Unglauben – zu erzählen, etwa ein Schlüsselerlebnis, eine bemerkenswerte Erfahrung, eine schwierige Situation oder ähnliches. Dies kann sich an die gemeinsame Reflexion einer biblischen Geschichte anschließen und in das Gebet füreinander oder ein Segensritual einmünden.

 

Um den Glauben miteinander zu teilen und der dazu nötigen Gemeinschaft Struktur und Beständigkeit zu verleihen, müssen die Glaubenden sich aufeinander verlassen können. Dafür treffen sie Verabredungen, wie sie ihr Glauben praktizieren wollen. Sie können sich dabei an der Regel des Geistlichen Lebens orientieren und gemeinsam festlegen, wie sie sie im eigenen Umfeld alleine und gemeinsam umsetzen wollen. Dabei prüft auch jeder für sich selbst, wie er die hier dargestellten Regeln des Geistlichen Lebens regelmäßig üben will. Ggf. lohnt es sich, dies auch schriftlich zu notieren, entweder jeder für sich oder gemeinsam, um (sich) später an die Absicht und die Vereinbarung zu erinnern. Es legt sich nahe, die in der Michaelsbruderschaft und im Berneuchener Dienst geübte Praxis zu übernehmen, im Blick darauf das regelmäßige Gespräch mit einer Helferin oder einem Helfer zur Beratung und Begleitung zu suchen. 

 

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