E.K.I.R. 2030 - Evangelisches Rollback (1)

Wenn Wasser verdunstet, verschwindet es nicht einfach. Es verändert seine Gestalt, wird unsichtbar und ist nicht mehr greifbar. Aber es verliert keineswegs seine Wirksamkeit, im Gegenteil. Es hinterlässt nachhaltige Spuren.

 

Auch wenn Christentum verdunstet, verschwindet es nicht einfach. Es verändert seine Gestalt, wird unsichtbar und ist nicht mehr greifbar. Aber es verliert keineswegs seine Wirksamkeit, im Gegenteil. Es hinterlässt nachhaltige Spuren. Wenn zum Beispiel Kardinal Jean-Claude Hollerich, der Luxemburger Erzbischof, feststellt, dass wir in Zukunft kein christliches Europa mehr haben werden1, dann meint er damit nicht, dass das Christentum aus Europa verschwindet. Es ändert seinen Aggregatzustand. Der Religionssoziologe Detlef Pollack "sieht keine gravierenden Folgen für die Gesellschaft, wenn die Kirchen kleiner werden. Viele zentrale christliche Ideen und Werte wie Solidarität, Fairness, Frieden oder Authentizität seien längst in die Gesellschaft eingewandert und hätten sie verändert." (katholisch.de2)

 

Dies hat auch das Synodale Papier von 2021 "Lobbyistin der GOTToffenheit" im Blick. Seine Grundthese: Wir sind keine Volkskirche mehr, weil wir eine Minderheitskirche geworden sind. Im Pfarrverein hätten wir gerne diese These aufgegriffen und darauf geantwortet und werden das auch noch tun. Wir sind nämlich der Meinung, das wir sehr wohl und nach wie vor Volkskirche sind, was nicht davon abhängt, ob wir zahlenmäßig in der Mehrheit sind oder nicht. Wir hatten uns auf einen spannenden Dialog darüber gefreut.

 

Aber wie durch Geisterhand ist die Lobbyistin der GOTToffenheit aus dem innerkirchlichen öffentlichen Diskurs verschwunden. Stattdessen richten sich aller Blick auf "E.K.I.R. 2030 Wir gestalten „evangelisch rheinisch“ zukunftsfähig?". Während die "Lobbyistin" die Frage reflektiert, was auf uns zukommt und wie wir uns darauf einstellen sollten, geht es im E.K.I.R.-2030-Papier wieder nur darum, zu retten, was zu retten ist. Die Grundaussage lautet: "Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem… Wir sind gut im Diskutieren, aber schlecht im Verändern." Mit diesem Argument ist seit mindestens den 1970er-Jahren die Notwendigkeit noch jeden kirchlichen Reformprojekts begründet worden. Es ist exakt jener Mentalitätswandel, der auch in "Kirche der Freiheit" schon gefordert wurde.  Es ist die Erwartung, dass sich mit genügend Druck von oben schon die Trendwende einstellen werde. Es ist der der Versuch, die zentrale Steuerung in die Hand zu nehmen und alle für Misserfolg und Scheitern verantwortlich zu machen, die nicht bereit sind, sich ihr unterzuordnen. Die von Hollerich, Pollack und der Lobbyistin aufgeworfene Frage, was auf uns zukommt, wird, kaum verhüllt, als "Umsetzungsproblem" für erledigt deklariert. Sie wäre aber exakt die Frage, die zu beantworten jetzt dringend geboten ist. Die Projekte3 "Mitgliederorientierte Modellgemeinden", "Mitgliederkommunikationssoftware", "Freie Gemeindewahl unter Mitnahme der Kirchensteuer bei Umgemeindung", "Anstellung von Pfarrpersonen im Kirchenkreis beziehungsweise der Region", "Mixed economoy" und all die anderen blenden diese Frage definitiv aus. Sie dienen ausschließlich der Rettung und Erhaltung des Systems, ohne die Frage zu stellen, was jetzt dran ist. Die in den Projekten angestrebten strukturellen Veränderungen dienen ausschließlich der Anpassung an das System, um dessen Gefährdung zu minimieren und dessen Existenz zu sichern. Weil das E.K.I.R. 2030-Programm außerordentlich komplex und kaum in ihren Implikationen zu überschauen ist, bedarf es einer zentralen Steuerung und eines scharfen Kommandotons von oben. Der Frust dürfte vorprogrammiert sein.

 

Man muss sich einfach nur die ganz schlichte Frage stellen: Was eigentlich soll damit bezweckt werden? Sollen damit die Austritte aus der Kirche gebremst werden? Sollen Menschen motiviert werden, wieder in die Kirche einzutreten. Soll die Teilnahme an kirchlichen Veranstaltungen gefördert werden? Sollen finanzielle Effekte ausgelöst werden? Soll die allgemeine Stimmungslage aufgehellt werden? Soll die Kirche stärker ins Gespräch gebracht werden? Es gibt überhaupt keine Kriterien, an denen sich ablesen ließe, ob "E.K.I.R.-2030" zum Erfolgsmodell wird oder zum Scheitern verurteilt ist. Es ist fast schon typisch für uns, dass wir mit großem Aufwand was auch immer inszenieren, aber keine Instrumente entwickeln, mit dem sich feststellen ließe: Hat es eigentlich was gebracht? Hat sich die Aufwand gelohnt? Die Folge davon ist, dass alle erst mal stolz darauf sind, was für tolle Ideen wir doch haben - und irgendwann verschwinden alle diese Projekte und Modelle ziemlich schlagartig in Vergessenheit und keiner redet mehr davon, so als wäre nichts gewesen. Dann ist es Zeit, die nächste Sau durchs Dorf zu jagen.

 

Statt mit immer neuen Initiativen und Programmen zu versuchen, das System zu stabilisieren, ist die Einsicht nötig: Sowohl in der katholischen wie in der evangelischen Kirche hat das System keine Zukunft. Darin sind sich Hollerich, Pollack und die Lobbyistin ja einig. Die Frage, die sie stellen, lautet: Was kommt dann? Darüber muss gestritten werden und werden wir (also der Pfarrverein der Rheinischen Kirche) auch streiten. Dringend geboten ist es, einmal wieder Bibel zu lesen - sie stellt wunderbare und außerordentlich hilfreiche Narrative und Bilder von der Kirche zur Verfügung. Sie macht deutlich - und die gesamte Kirchengeschichte bestätigt das - dass die Kirche dann wächst und gedeiht, wenn sie von unten wächst - "wo zwei oder drei…" - und dass sie das in aller Regel nicht tut, wenn sie von oben gesteuert wird. Die Aufgabe von Kirchenleitungen besteht in der Aufsicht, der Moderation, der Sorge für die Rahmenbedingen, der Konfliktklärung, der Repräsentation - aber definitiv nicht in der Steuerung des Kirchensystems von oben.

 

1 https://katholisch.de/artikel/43283-kardinal-hollerich-wir-werden-kein-christliches-europa-mehr-haben

Religionssoziologe: Immer mehr Menschen finden Kirche unwichtig - katholisch.de

EKiR2030 - www2.ekir.de

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