Einführung und Vorstellung: Das "Berneuchener Modell"

Eines der wichtigsten Bekenntnisse unsere Kirche ist die Barmer Erklärung. Sie ist entstanden, als die Nationalsozialisten versuchten, die Kirche für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und die "Deutschen Christen" darin eine Chance für die Kirche sahen. Da stellte sich mit Dringlichkeit die Frage, was die Kirche ist. Die Barmer Erklärung gibt eine verbindliche Antwort darauf, die von jedem, der sich als evangelisch versteht, geteilt wird. 

 

Doch die Frage, was die Kirche ist, war nicht die einzige Frage, die im Raum stand. Schon seit längerem war damals nicht nur unklar, was die Kirche ist, vielmehr auch, wie wir Kirche sein können. Viele Jahrhunderte lang waren die Christen Untertanen kirchlicher Obrigkeiten. Im letzten Jahrhundert wurden aus ihnen steuerpflichtige Mitglieder, die von kirchlichen Meldeämtern - analog zum Einwohnermeldeamt – erfasst wurden und die zu „betreuen“ waren, bis sie seit etwa der Jahrtausendwende zu umworbenen Kunden eines kirchlichen Dienstleistungsunternehmens wurden. Eine lebende, gedeihende und wachsende Kirche aber, die in die Gesellschaft ausstrahlt, braucht weder Untertanen noch Mitglieder noch Kunden. Sie braucht freie und dienstbare Christenmenschen. Diese wird es aber nur geben, wenn ihnen das Priestertum der Getauften zugemutet wird und wenn sie darin geübt werden und sind. 

 

Eben das war die Frage, die jene Menschen beschäftigte, die sich auf dem Gut Berneuchen östlich der Oder – heute in Polen - zum ersten Mal vor 100 Jahren (1923) und dann mehrere Jahre lang immer wieder trafen. Ihr Leitwort war: 

 

„Wir können an der Kirche nur bauen, wenn wir selber Kirche sind.“  

 

Dort, in Berneuchen, sind dann – unter anderem – diese sechs Sätze, die Regel des geistlichen Lebens, entstanden. Sie beschreiben gewissermaßen die grundlegenden (Grund legenden) „Rituale” der Kirche. Unter Ritualen versteht man überlieferte und vorgegebene Verhaltensmuster, die eine ansonsten verborgene Wirklichkeit sichtbar machen, in diesem Falle also dem christlichen Glauben Gestalt geben und ihn erkennbar werden lassen. Im Unterschied zur katholischen Kirche gehen wir sehr sparsam und zurückhaltend mit Ritualen um. Das heißt aber nicht, dass sie belanglos und beliebig sind. Im Gegenteil sind die bei uns gepflegten Rituale von zentraler Bedeutung, weil zur Erscheinung zu bringen, was für den Glauben und die Kirche wesentlich ist. Diese Rituale verlangen aber, dass die, die zu ihr gehören, mit ihnen vertraut und in ihnen geübt sind. Genau daran fehlt es aber in der evangelischen Kirche weitgehend. 

 

Die Regel des Geistlichen Lebens lässt sich als Anleitung zur Einübung in die grundlegenden Rituale verstehen. Sie richtet sich also an jene, die sich in ihnen üben wollen, um Kirche zu sein und an ihr zu bauen, damit sie leben, gedeihen und wachsen kann.  

 

Die Regel des Geistlichen Lebens der Berneuchener hat jedoch eine gravierende Schwachstelle, die sie bezeichnender Weise mit der Barmer Erklärung teilt: Beide Dokumente haben schlicht die Taufe vergessen. Das ist deswegen so folgenschwer, weil dadurch nicht erkennbar wird, wie sehr die beiden Fragen, was die Kirche ist und wie wir Kirche sein können, zusammengehören. Zwar gibt es zwischen beiden Papieren gewissermaßen eine Kontaktstelle: Wenn die Barmer Erklärung in der vierten These von der „Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes” spricht, knüpft die Regel daran in ihrem vierten Satz an: „Christsein wird auch konkret und erkennbar in der Beteiligung am Leben der Gemeinde vor Ort. Ich will… mich für den Dienst in der Gemeinde bereithalten.“ Doch diesen Zusammenhang nimmt man nur bei genauem Hinschauen wahr. So wird in beiden Dokumenten kaum sichtbar, wie Gott sich zu jeder einzelnen getauften Person bekennt und ihr das Wort gibt, das er nicht zurücknehmen wird, wie diese zugleich berufen wird, dieses Wort in Wort und Tat zu bezeugen und wie sie dadurch und dazu in die Kirche eingegliedert wird. Das Priestertum der Getauften, das in der evangelischen Kirche eine ähnlich zentrale Rolle spielt wie das geweihte Priestertum in der katholischen, bleibt hier weithin unsichtbar. 

 

Diese Einübung beabsichtigt, den Zusammenhang deutlich zu machen. Sie versteht sich als Einübung in das Priestertum der Getauften, als Eingliederung in die Kirche, wie sie in der Barmer Erklärung beschrieben wird und als Praxis des Kirche-Seins, zu der die Berneuchener Regel des geistlichen Lebens anleitet. In diesem Sinne musste der fünfte Satz der Regel des geistlichen Lebens inhaltlich neu gefasst werden, womit aber dessen ursprüngliches Anliegen aufgenommen wurde. 

 

Mit Hilfe der in der Regel des Geistlichen Lebens beschriebenen grundlegenden Ritualen werden hier Anregungen gegeben, um sich in ihnen einzuüben und zu üben.  

 

DER ABLAUF DER VERANSTALTUNGEN: 

 

Der Ort der Treffen ist ein Wohnzimmer ein Raum im Gemeindezentrum oder ein vergleichbarer Raum. Wenn möglich, sollte das Treffen zum fünften Ritual (Segnen) in einer Kirche am Taufbecken stattfinden. 

 

Es sind sechs Treffen, für jedes Ritual eines (das Treffen zum 4. Ritual kann unter Umständen auch zwei Treffen aufgeteilt werden). Sie können im Wochenrythmus, im Rahmen der Fastenzeit oder an einzelnen Terminen auch in größeren Abständen stattfinden, abends oder vormittags als Frühstück. Man kann sich zu jedem Treffen einzeln anmelden. Die Teilnahme an allen Treffen empfiehlt sich zwar, wird aber nicht vorausgesetzt. 

 

Jedes Treffen ist mit einer Mahlzeit verbunden und findet in einer (nicht zu großen) Tischgemeinschaft statt. Diese Mahlzeit kann vormittags ein Frühstück oder abends ein Abendessen sein. Ist es ein Frühstück, dann gilt folgende Reihenfolge: 

  • Begrüßung 
  • Psalm im Wechsel, gesprochen oder gesungen, oder Lied 
  • (Tischsegen und) Frühstück 
  • Einführung 
  • Einübung des Rituals des Tages 
  • Vaterunser, Segen, Abschluss 

Ist es ein Abendessen, gilt folgende Reihenfolge: 

  • Begrüßung 
  • Psalm im Wechsel, gesprochen oder gesungen, oder Lied 
  • Einführung 
  • Einübung des Rituals des Tages 
  • (Tischsegen und Mahlzeit) 
  • Vaterunser, Abendsegen, Abschluss 

Die Mahlzeit soll einfach sein, aber darf gerne schmecken (z. B. einen Salat, eine Suppe oder ähnliches). Bei den Treffen zum vierten und zum sechsten Ritual ist die Mahlzeit mit Brotbrechen verbunden (siehe viertes Ritual). Die anderen Mahlzeiten werden mit einem Tischsegen eröffnet. Findet das Treffen zum fünften Ritual in einer Kirche am Taufbecken statt, entfällt die Mahlzeit. 

Teilnahme-Gebühren sollen nicht erhoben, aber ein Körbchen oder Sparschwein kann bereitgestellt werden, in das Spenden zur Finanzierung dieses Seminars eingelegt werden können. Was davon über bleibt, wird für einen Kollekten- oder Spendenzweck verwendet, auf den die Teilnehmenden sich einigen. 

Diese Einübung lässt sich auch ohne Pfarrerin oder Pfarrer oder vergleichbare Personen durchführen. Sie braucht auch keine Genehmigung durch eine Kirchengemeinde oder eine andere kirchliche Institution. Nötig sind eine Person bzw. einige Personen, die sich ein Herz fassen, Initiative ergreifen, ihre Wohnung zur Verfügung stellen und einladen. Die die hier vorgestellten Rituale sind einfach, aber sie benötigen eine gewisse Übung und eine gute Vorbereitung. Die Angst, irgendetwas falsch zu machen, kann man sich dadurch nehmen, dass die Beteiligten sich erlauben, es nicht nur einmal oder auch mehrmals zu wiederholen und dadurch Erfahrungen zu sammeln. Wer gleichwohl Beratung braucht, kann sich gerne an mich wenden: Stephan Sticherling, stephan.sticherling@ekir.de; 0152 21523490. 

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