Sechstes Ritual: TEILEN

Wir bleiben mit unserem Glauben nicht für uns und allein, sondern wir teilen ihn. Nur geteilter Glaube ist lebendiger, wachsender und sich fortpflanzender Glaube. Indem wir uns gegenseitig erzählen und zuhören, nehmen wir gegenseitig Anteil aneinander und an unserem Glauben und Unglauben. Wir beten füreinander und wissen, dass andere für uns beten. So wächst auch Gemeinschaft, die nur möglich ist unter Menschen, die sich "kennen", also von ihrer jeweiligen Geschichte wissen. Weil wir darauf angewiesen sind, geachtet und beachtet zu werden, üben wir solche Achtsamkeit auch denen gegenüber, die (um Jesu Formulierung zu gebrauchen) die "Nächsten" sind. So entsteht ein Netzwerk, dass mit dem Begriff "Gemeinde" (also das, was uns "gemein" ist) umschrieben werden kann. Es ist aber nicht nach außen abgegrenzt, sondern, im Gegenteil, nach außen vernetzt. Wir schotten uns nicht ab und bleiben nicht unter uns, auch wenn wir immer wieder einmal den Rückzug brauchen. Aber wir bleiben mit unserem Bekenntnis klar erkennbar. Wir verstecken unseren Glauben nicht, sondern legen darüber Rechenschaft ab, immer wenn wir danach gefragt werden oder wenn sich das aus der jeweiligen Situation ergebt. Wir geben unseren Glauben weiter, indem wir Anteil nehmen und an uns Anteil nehmen lassen. Wir drängen uns nicht auf, aber wir bekennen uns, wenn wir gefragt sind. Denn "ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen?" (Mt 5,13) 

 

EINÜBUNG IN DAS RITUAL DES GETEILTEN GLAUBENS: ERZÄHLEN UND ZUHÖREN  

 

Die Bibel ist mündlich entstanden und hat auch ursprünglich nur mündlich existiert, bevor sie irgendjemand schriftlich fixiert hat. Sie ist aus Erzählungen hervorgegangen. Erzählungen stehen am Anfang der Geschichte unseres Glaubens. Menschen glaubten, indem sie sich gegenseitig erzählten und zuhörten. Sie erzählten sich ihre Geschichten, weil sie etwas wesentliches über sich und ihr Leben zur Sprache brachten. Indem sie einander erzählten, haben sie ihren Glauben geteilt. So wurde er zu ihrem gemeinsamen Glauben. Glaube ist nicht etwas, was jeder für sich hat und den anderen nichts angeht, vielmehr haben wir den Glauben gemeinsam und teilen ihn miteinander. Lebendig und kräftig kann der Glaube sein, wenn er geteilt wird. Glauben ist also nicht abstraktes Philosophieren oder Theoretisieren, ebenso wenig, wie die Bibel kein Lehr-, vielmehr ein Geschichtenbuch ist, ein Erzählbuch. Aus den vielen Geschichten, sowohl denen in der Heiligen Schrift wie denen, die wir uns gegenseitig erzählen, setzt sich die eine große Geschichte Gottes mit den Menschen zusammen. 

 

Bei diesem sechsten Treffen erhält jeder die Gelegenheit zu erzählen. Die anderen hören zu. Die Aufgabe ist, eine Antwort auf die Frage zu geben, was die anderen von mir wissen sollen, damit sie mich kennen (lernen). Jemanden kennen heißt, seine oder ihre Geschichte zu kennen. Was kennzeichnet mich, was ist typisch für mich, welches Ereignis oder Erlebnis im Laufe meines Lebens hat mich geprägt? Es sollen nicht nur die „schönen“ Geschichten sein, sondern gerade auch die schweren Erlebnisse, Krisen, Zweifel, Ängste, Trauer, Schicksalsschläge. Die Erzählenden sollen in ihren Geschichten greifbar und erkennbar werden. 

 

Wenn die Tischgemeinschaft nichts zu groß ist, dann kann man am Tisch sitzen bleiben und einfach anfangen, zu erzählen. Es soll aber jeder die Gelegenheit dazu haben. Zugleich aber soll niemand genötigt werden. Jeder entscheidet für sich selbst, was er von sich preisgibt und was nicht.  Außerdem müssen die Erzählenden sich absolut darauf verlassen können, dass alle verschwiegen sind und alles, was gesagt wird, im Raum bleibt.  

 

Wenn dafür die Tischgemeinschaft zu groß ist, kann entweder sich jeder einen Partner suchen, die sich gegenseitig erzählen und zuhören. Oder es werden Dreier- oder Vierergruppen gebildet. Wichtig ist, das, wer erzählt, auch bereit sein muss, den anderen zuzuhören und sich für sie zu interessieren. Es mag sich zeigen, dass die Zeit dennoch nicht reicht. Dann besteht die Freiheit, sich erneut zu verabreden. In jedem Fall aber sollte die Erzählgemeinschaft mit einem Brotbrechen abgeschlossen werden: So, wie wir das Brot hier teilen, so teilen wir unsere Geschichten und unseren Glauben und werden so zumindest in diesem Augenblick zur Gemeinde, also zu Menschen, die etwas gemein haben. 

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