Planen und Wachsenlassen in der Kirche

In einer sozialistische Planwirtschaft werden alle maßgeblichen Entscheidungen zentral getroffen. Alle anderen Akteure dieses Systems haben diese Entscheidungen umzusetzen und melden Vollzug an die Zentrale. Die hat das gesamte Geschehen im Blick und unter Kontrolle. Ziel ist die größtmögliche Planbarkeit. Sie soll möglichst nichts durch Zufälliges oder Unvorhersehbares beeinträchtigt werden. Geplant werden kann nur mit bekannten, berechenbaren und festliegenden Tatsachen. Was an Ende herauskommen soll, steht von Anfang an fest. Alles Unerwartete und jede Überraschung kann dann nur als Störung verstanden und muss nach Möglichkeit ausgeschlossen werden.

 

Wachstum ist unter solchen Voraussetzungen nicht möglich. Denn Wachstum setzt den Verzicht auf umfassende Kontrolle voraus (und staatliche Planwirtschaftssysteme waren und sind ja in der Regel nicht des Wachstums fähig). Wer Wachstum will, muss den Fähigkeiten des Systems zur Selbstentfaltung vertrauen und dazu ausdrücklich ermutigen. Wer Wachstum will, ist von vorneherein auf Überraschungen und Unerwartetes, ja sogar auf zunächst Unvorstellbares gefasst. Das ist auch gewollt, weil gerade dies das Wachstum ausmacht. Wachstum heißt aber nicht, das System vollständig sich selbst zu überlassen. Es ist stets im Blick und Eingriffe ins Geschehen sind, wenn auch nicht die Regel, gleichwohl möglich und manchmal nötig und sinnvoll. Das ist etwas anderes als Kontrolle und geschieht punktuell, z. B. um Fehlentwicklungen innerhalb des Wachstumsgeschehens behutsam zu korrigieren. Es dient dem Wachstum und fördert es.

 

Planung erwartet von den Akteuren in erster Linie Anpassung, Wachsenlassen  dagegen Eigeninitiative, Wagnisbereitschaft und Selbstverantwortung. Die Kirchen - evangelisch wie katholisch - haben sich auf Planung festgelegt, nicht auf Wachsenlassen. Sie überlassen nicht dem Zufall, was werden soll und halten es unter Kontrolle. Es geht definitiv auch nicht um Wachstum, sondern um Anpassung, und zwar an Zahlen, die für 2030 oder 2060 erwartet werden. Es geht darum, dass auch beim Schrumpfen das kirchliche Geschehen sich dennoch nicht der Kontrolle entzieht und sich weiterhin steuern lässt und dass die dafür nötigen Strukturen zwar angepasst, aber nicht aufgegeben werden müssen. Dafür, wie gesagt, ist nur die Anpassung der Akteure gefragt, nicht aber Eigeninitiative.

 

Am Beispiel der in vielen Landeskirchen und Bistümern vorangetriebenen Regionalisierung ist das mit Händen zu greifen. Zwar klingt "Regionalisierung" auf Anhieb ein wenig nach Basisdemokratisierung ("Freiheit für die Regionen"), tatsächlich aber geht es um umfassende Steuerung. Denn die Regionen bilden sich ja nicht selbst, die sind oder werden von der oberen Leitungsebene vorgegeben (z. B. die "pastoralen Einheiten" im Erzbistum Köln). Man spricht gerne beschönigend vom "Teamgeist", der in der Region geweckt werden soll. Doch wenn sie funktionsfähig sein soll, braucht sie eine zentrale Leitung und den damit verbundenen Aufwand an Administration, Kommunikation, Abstimmung, Gremien. Die Akteure in einer Region agieren miteinander als Funktionäre, Delegierte und Beauftragte und müssen andererseits an ihrem Ort die Entscheidungen der Region vertreten. Sie werden sich darauf einstellen, mit stets wechselnden Personen in den jeweiligen Funktionen zu tun zu haben.  Sie werden sich auf ein erhöhtes Konfliktpotenzial einstellen müssen. Und wiederum lassen sich diese gebildeten regionalen Strukturen leicht in übergeordnete landeskirchliche oder bischöfliche Strukturen eingliedern und es wird deutlich, dass es nicht darum geht, der "regionalen" Basis mehr Freiheit zu geben, sondern die gesamtkirchliche Steuerung zum Zwecke der Anpassung an die für 2030 oder 2060 erwarteten Zahlen effektiver zu machen. Wie gesagt, um Wachstum geht es erklärtermaßen nicht.

 

Wenn es darum ginge, dann wäre alles, was man dafür an Einsichten braucht, im Neuen Testament vorgegeben. Jesus selbst hat mit seinen Gleichnissen wie das von der selbst wachsenden Saat anschaulich gemacht, worum es dabei geht. Dass Wachstum grundsätzlich ganz klein beginnt, machen das Senfkorn oder die "zwei oder drei" (Mt 18,20) klar. Wir können in der Apostelgeschichte, dass die Gemeinden weltweit zusammenhalten - was teilweise mit nicht leicht lösbaren Konflikten verbunden war - dass aber die Gemeinden weitgehend für sich selbst verantwortlich waren. Paulus schreibt seinen Römerbrief an schon existierende, nicht von ihm gegründete Gemeinden, an deren Anerkennung der keinen Zweifel lässt. Er selbst geht strategisch und planend vor, doch sobald eine Gemeinde gegründet ist, übernimmt diese die Verantwortung für sich selbst; Regionalisierung und bischöfliche Strukturen treten erst im späteren Zeiten in Erscheinung. Auch der Epheserbrief geht davon aus, dass "der ganze Bau ineinandergefügt wächst", und "der ganze Leib sein Wachstum" gestaltet, "sodass er sich selbst aufbaut" (Eph 2,21 und 4,16).

 

Wachstum ist also nur möglich, wenn es ganz unten und ganz klein anfängt. Da stellt sich schon für Frage, ob die Strukturen der Kirche, die gut im Planen sind, überhaupt in der Lage sind, wachsen zu lassen, was wachsen will. Hier ließe sich einwenden, dass, wenn etwas wirklich wachsen will, es niemand daran hindern wird. Genau das ist die Chance, die die Kirche hat. Während die alten kirchlichen Strukturen nach und nach kontrolliert und planvoll zurückgebaut werden, bildet sich nach und nach zur gleichen Zeit eine neue Gestalt der Kirche heraus, die wachsen lässt, was wachsen will, so, wie das den ursprünglichen, biblischen Vorstellungen entspricht. Deswegen lösen die gegenwärtigen Entwicklungen nicht nur Trauer aus. In ihnen verbirgt sich vielmehr eine große Verheißung, die alle, die für die Kirche brennen, hoffnungsvoll und zuversichtlich aufatmen lassen. Es lohnt sich, den Blick fest auf diese neuen Entwicklungen zu richten und die Folgerungen daraus zu sehen.