Sonntagsmeditation: Nichts ist gut!

Jubilate (8. Mai 2022): 1. Mose 1,1-4.26-28.31; 2,1-4

 

"Neunundneunzig Kriegsminister, Streichholz und Benzinkanister, hielten sich für schlaue Leute, witterten schon fette Beute, riefen: "Krieg!" und wollten Macht. Mann, wer hätte das gedacht, dass es einmal so weit kommt."

 

Da singt Nena einem wirklich aus tiefsten Herzen, aber wer sind sie eigentlich, diese neunundneunzig Kriegsminister, und welche Kriege sind es, die wir ihnen verdanken? Ist der jetzige Krieg so einer, ausgelöst durch Streichholz und Benzinkanister und motiviert durch fette Beute? Und sind etwa Wolodymyr Selenskyi, Andrij Melnyk, Jens Stoltenberg, Olaf Scholz oder Annalena Baerbock Kandidatinnen und Kandidaten für diese Rolle derer, die sich für schlaue Leute halten? Das wäre ja Voraussetzung, damit die neunundneunzig Luftballons funktionieren.

 

Wie dem auch sei, Reinhard Mey wird so oder so zu verhindern wissen, das seine Familie in den Krieg hineingezogen wird:

 

"Ich schwör's und sag's euch g'rade ins Gesicht, sie werden es für euren Wahn nicht geben, nein, meine Söhne geb' ich nicht."

 

Abgesehen davon, dass sie selbst nicht gefragt sind und dazu nichts zu sagen haben, weil es ja "meine" Söhne sind, ist es weniger wichtig, wenn eine Mutter um ihre dem Aggressor ausgelieferten und zum Opfer gefallenen Kinder weint - wichtig ist nur, meine Familie bleibt draußen.

 

Der zentrale Satz des auch von Reinhard Mey und vielen anderen Prominenten unterzeichneten Offenen Briefes an Bundeskanzler Olaf Scholz vom 29. April 2022 lautet:

 

"Moralisch verbindliche Normen sind universaler Natur."

 

Das heißt mit anderen Worten: Wir halten uns an moralische verbindliche Normen universaler Natur. Dann wird alles gut. Dann müssen wir uns um alles weitere nicht mehr kümmern. Dann müssen wir uns die Finger nicht schmutzig machen. Dann können wir unsere Hände in Unschuld waschen. Dann können wir uns aus allem Weiteren raushalten.

 

Und schließlich: Wir können dem Glauben huldigen, auf der richtigen Seite zu stehen und immer gestanden zu haben, es immer besser gewusst und recht gehabt, obendrein der Menschheit einen guten Dienst erwiesen und einen Beitrag zum Frieden geleistet zu haben (zu welchem Frieden eigentlich?).

 

Den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern wird nicht bewusst, welche Selbstgerechtigkeit, welchen Zynismus, welche Menschenverachtung, welche Verantwortungsverweigerung sie damit hervorbringen.

 

Diese Haltung - Wir halten uns an moralische verbindliche Normen, dann wird alles gut - leitet über zur Schöpfungsgeschichte, den Predigttext für den kommenden Sonntag Jubilate: "Und Gott sah an alles, es er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut." Zu dieser sehr guten Schöpfung gehört der Mensch, der in ihr eine besondere Rolle spielt. Er soll ein Bild, dass Gott gleich sei, sein, sich die Erde untertan machen und über die Geschöpfe herrschen. Gott tritt dem Menschen einen Teil seiner schöpferischen Macht ab und delegiert Verantwortung an ihn. Der Mensch hat die Freiheit, steuernd und schöpferisch in die Schöpfung eingreifen. Gott gibt damit ein Stück seiner eigenen Freiheit preis. Er macht sich abhängig vom Menschen. Er wird verletzbar und ist keineswegs mehr unangreifbar. Der Mensch kann sich zumindest für eine Weile von Gott unabhängig machen.

 

Das hat verheerende Konsequenzen. Wenn am am Anfang alles gut war, ist inzwischen nichts mehr gut. Klimawandel, Gefährdung der Biodiversität, die Vermüllung der Meere, die wieder denkbar gewordene Atombombe, die Ausbreitung von Kriegen, von autokratischen und diktatorischen Regimen und anderes mehr bedeuten eine massive und kaum noch abzuwendende Gefährdung der Schöpfung als Lebensgrundlage für den Menschen.

 

Die Einhaltung moralisch verbindlicher Normen von universaler Natur reicht da nicht mehr aus. 

 

Schon der Bibel selbst deutet sich das an, zum Beispiel im 14. Psalm: 

 

Die Toren sprechen in ihrem Herzen: »Es ist kein Gott.« Sie taugen nichts; ihr Treiben ist ein Gräuel; da ist keiner, der Gutes tut. Der HERR schaut vom Himmel auf die Menschenkinder, dass er sehe, ob jemand klug sei und nach Gott frage. Aber sie sind alle abgewichen und allesamt verdorben; da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer. Will denn das keiner der Übeltäter begreifen, die mein Volk fressen, dass sie sich nähren, aber den HERRN rufen sie nicht an? (Psalm 14,1-3)

 

Diese Einsicht greift Paulus in seinen Brief an die Römer auf (er zitiert in diesem Zusammenhang noch weitere Bibelstellen). Dazu stellt er fest, dass die Einhaltung moralisch verbindliche Normen von universaler Geltung - er nennt sie "Gesetz" - in dieser Situation nicht mehr ausreicht. Sie können nur noch dazu dienen, aufzuzeigen, was schief läuft - und was der Mensch nun nicht mehr in der Lage ist, wieder "gut" zu machen:

 

"Wir wissen aber: Was das Gesetz sagt, das sagt es denen, die unter dem Gesetz sind, auf dass jeder Mund gestopft werde und alle Welt vor Gott schuldig sei. Denn durch des Gesetzes Werke wird kein Mensch vor ihm gerecht sein. Denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde." (Römer 3,19-20).

 

Das bedeutet, dass der Mensch die ihm von Gott gewährte Chance verspielt hat und nicht mehr in der Lage sein wird, das Blatt noch einmal zu wenden. 

 

Ist die Menschheit damit am Ende? Oder meinen die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des offenen Briefes an Scholz ernsthaft, sie könnten die Welt retten, indem sie "moralisch verbindliche Werte universaler Natur" einhalten? Wer Paulus ernst nimmt, wird einsehen müssen: Das ist vorbei. Die Entscheidung steht an, sich entweder darin zu fügen, dass die Menschheit selbstverschuldet am Ende ist - oder etwas finden, das vielleicht doch noch einen Grund zur Hoffnung gibt.

 

Die Bibel jedenfalls lässt über den Ernst der Situation keine Illusionen zu. Als Jesus getauft wurde, da öffnete sich die Himmel und er spürte die Nähe Gottes unmittelbar. Diese unmittelbare Nähe Gottes hat ihn fast ein ganzes Leben getragen. Am Ende aber, als er am Kreuz hing, der schrie er in den leeren Nachthimmel: "Mein Gott, warum hast du mich verlassen?!" Und der Himmel antwortete nicht. Er blieb leer. Das muss man erst einmal aushalten können, bevor man allzu schnell darüber nachdenkt, was am dritten Tag danach passiert ist. 

 

Paulus nennt den Ausweg aus diesem Dilemma: Nicht die moralisch verbindlichen Normen universaler Natur werden uns noch retten können. Das ist wirklich vorbei. Es ist etwas anderes. Kein Mensch kann ohne Glauben leben. "So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben."  (Römer 3,28) Unser Glaube ist, dass Gott DENNNOCH seine Schöpfung, sein Werk, seine Menschen nicht preisgibt. Das genau ist es, was am dritten Tag passiert ist. Das genau ist es, worauf wir uns verlassen.

 

 

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