"Frieden schaffen ohne Waffen" ist nicht das Evangelium

Ich erinnere mich noch sehr gut: Als George W. Bush, auch als Antwort auf den "9. September", den Krieg gegen den Irak lostrat, hingen von allen unseren Kirchen und kirchlichen Gebäuden Fahnen mit der Losung: "Krieg darf um Gottes willen nicht sein". Anders als z. B. zur Zeit der Kanzlerschaft Helmut Schmidts, als es um die Mittelstreckenraketen SS 20 und Pershing II ging und die großen Hofgartendemonstrationen in Bonn organisiert wurden, waren wir uns in seltener Geschlossenheit einig, dass das nicht sein dürfe. Auch in meiner damaligen, durchaus konservativen Düsseldorfer Gemeinde gab es darüber keinerlei Diskussion.

 

Heute begegnen wir dieser Losung - "Krieg darf um Gottes willen nicht sein" - nirgendwo. Stattdessen beschließt der Bundestag mit großer Mehrheit die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine, mit der Begründung, dass sie nicht nur sich selbst, sondern auch unsere Freiheit verteidigt. Man hört politische Sprecherinnen und Sprecher mit militärischen Fachbegriffen hantieren, die man noch vor Wochen auch nicht ansatzweise mit ihnen in Verbindung gebracht hätte. Das Bundesverteidigungsministerium lässt in einer offenbar beliebten Talkshow "Bundeswehr - Nachgefragt" hochrangige Offiziere und Generäle allgemeinverständlich komplexe militärische Zusammenhänge erläutern. Man reibt sich zuweilen die Augen, wie sehr der öffentliche Diskurs von Kriegsthemen beherrscht wird. In meinen sechseinhalb Lebensjahrzehnten habe ich das so noch nie erlebt. 

 

Jedoch, so wie es aussieht, treibt genau diese unerwartete Entwicklung die Kirchen in eine tiefe Spaltung, die noch vielleicht nicht so recht spürbar und dennoch absehbar ist. Die einen sagen, dass Waffen niemals Frieden schaffen können. Was gestern Gültigkeit hatte - "Frieden schaffen ohne Waffen" - kann doch nicht über Nacht obsolet sein. Die anderen werden sich bestätigt sehen, weil sie sagen, "Frieden schaffen ohne Waffen" habe noch nie gestimmt. Die einen sind entsetzt über die Bundesregierung, weil sie die Lieferung schwerer Waffen ernsthaft erwägt; die anderen sind entsetzt, weil die Bundesregierung damit so lange zögert. 

 

Diese Spaltung dürfte noch zu heftigen und zermürbenden innerkirchlichen Diskussionen führen. Das Schlimme daran ist, dass man sich ihr kaum entziehen und gewissermaßen auf eine Zuschauerposition zurückziehen kann. Die Frage, der wir uns stellen lautet: Stimmt es (noch), dass Waffen keinen Frieden schaffen, oder hat dieser Satz seine Gültigkeit verloren?

 

An dieser Stelle meine ich, vollkommen klar zu sein: Ja, das stimmt, dass Waffen niemals Frieden schaffen können. Darüber kann es keinen Zweifel geben. Nur kann es ebenfalls nicht zweifelhaft sein, dass auch der Verzicht auf Waffen keinen Frieden schafft. Man möge beide Optionen gedanklich einmal durchspielen: Eine Lösung des Ukrainekrieges ist so oder so nicht erkennbar. Selbst wenn die Ukraine den Krieg "gewinnen" sollte, ist damit keinesfalls Frieden entstanden. Verzichten die westlichen Staaten auf Waffenlieferungen, kann die Ukraine den Krieg nicht "gewinnen", und andere Staaten werden dadurch um so mehr der Kriegsgefahr ausgesetzt. So oder so müssen die, die entscheiden müssen, ihr Gewissen schwer belasten. 

 

Aufgabe der Kirchen ist es oder kann es zumindest sein, Kriterien bereit zu stellen und zu besprechen, nach denen solche Entscheidungen möglicherweise getroffen werden können (vgl. z. B. Zeitzeichen: "Starke Zeichen"). Aber niemals können die Kirche denen die Entscheidung abnehmen, die sie zu treffen haben. Begegnen wir ihnen z. B. mit dem Bekenntnis "Frieden schaffen ohne Waffen", bevormunden wir sie, ohne dass wir das wirklich verantworten müssten. Ebenso wäre es eine unerträgliche Anmaßung, wenn die Kirchen der Bundesregierung die (alsbaldige) Lieferung schwerer Waffen nahelegten. Ich bin mir gar nicht sicher, wie heilsam oder unheilvoll es ist, wenn kirchenführende Persönlichkeiten, wie geschehen, solche Fragen in aller Öffentlichkeit erörtern. Wer hat sie danach gefragt? Wer würde auf ihren Rat hören? Ich sehe da niemanden. Das heißt nicht, dass die Kirchen und ihre Vertreterinnen und Vertreter als Gesprächspartnerinnen und -partner etwa für Militärs und Politiker ausfallen müssen. Die Frage ist nur, ob das öffentliche Bekenntnis dafür das geeignete Medium ist (und "Frieden schaffen ohne Waffen" ist ein Bekenntnis).

 

Es ist etwas ganz anderes, was die Kirchen der Welt zu sagen haben, schonungslos ehrlich und in aller Gelassenheit.

 

"Schonungslos ehrlich" deswegen, weil sie bekennen (und, in der Tat, hier ist wirklich das Bekenntnis die angemessene Sprache), dass der Frieden ohnehin nicht mehr, so oder so, im Bereich des menschlich Möglichen ist. Der Unfrieden ist inzwischen unser Schicksal. Die massive Bedrohung unseres Lebensraums durch die Atombombe (die inzwischen wieder denkbar geworden ist), den Klimawandel (um den sich zu kümmern im Augenblick dringen geboten wäre, aber niemand hat die Zeit dazu), die drohende Hungerkatastrophe, die Zunahme autokratische oder diktatorischer Regime und anderes mehr entzieht sich inzwischen der menschlichen Kontrolle und ist nicht mehr wirklich steuerbar. Unsere Lage ist mehr als ernst. 

 

Und "in aller Gelassenheit", weil wir durch das Evangelium - ja, genau, DAS ist das Evangelium! - durch den Gekreuzigten und Auferstandenen wissen und bekennen können, dass Gott seine Schöpfung, sein Werk nicht aufgibt, nicht aufgeben kann, nicht aufgeben will. Mitten in aller Bedrohung, in aller Gewalt, in allem Sterben, in allem Leid, in allem Scheitern, in allem Versagen, in aller Schuld blitzt genau diese Wahrheit immer wieder auf, tröstet uns und lässt uns, trotz all dem, leben.

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0