Mein erste Eindruck vom "Bürgergutachten" der Evangelischen Kirche in Düsseldorf

171 Personen haben sich - von ca. 7400 per Zufall aus den Bürgerinnen in Bürgern der Stadt Düsseldorf bzw. den evangelischen Gemeindegliedern ermittelten und angeschriebenen Personen - gemeldet, um sich am Bürgergutachten zu beteiligen. Für die Teilnahme haben sie vier Tage Bildungsurlaub (oder ersatzweise eine entsprechende Aufwandsentschädigung) bekommen. In zwei Phasen haben sie in Gestalt von vier so genannten "Planungszellen" zunächst Empfehlungen allgemeiner Art und dann konkrete Handlungsempfehlungen entwickelt. 

 

Ich notiere hier zunächst die Ergebnisse des Bürgergutachtens dar, wie sie in Minute 38-44 des Youtube-Videos von der Übergabe des Gutachtens am 31. Oktober 2021 in der Johanneskirche dargestellt wurden. Danach nehme ich dazu - siehe unten - Stellung.

 

In der ersten Runde wurden die folgenden Empfehlungen formuliert, die dann in der zweiten Runde in anders zusammengesetzten Planungszellen zu konkreten Handlungsempfehlungen weiter verarbeitet wurden (in Stichworten):

  • Politische und soziale Verantwortung der Kirche wurde stark hervorgehoben: Partizipation im allgemeinen, Demokratie innerhalb und außerhalb der Kirche, Bedingungsloses Grundeinkommen, nichtprofitorientierte medizinische Versorgung, Schaffung von sozialen Wohnraum, Bildungsauftrag der Kirche.
  • Die Werte, die die Kirche vertritt und ihre Kommunikation und Vermittlung! Die Kirche sollte digitaler und moderner werden, soll sich an den Werten der heutigen Zeit stärker orientieren.
  • Begegnungsorte und -Räume, die die Kirche bereitstellen sollte, für alle Menschen, Nichtgläubige und Andersgläubige eingeschlossen, Begegnungs- und Wohlfühlorte, interreligiösen Netzwerke, um den Zusammenhang in den Stadtvierteln zu stärken.
  • Klimawandel, mehr Grünflächen, öffentlicher Raum für junge und alte Menschen, bezahlbare Wohnraum, Vorantreiben der Verkehrswende mit Blick auf ÖPNV und Radwege. (Diese Stichworte richteten sich mehr an die Stadt Düsseldorf)

Die Handlungsempfehlungen der zweiten Runde (wieder in Stichworten) lauten, wurden als Antworten auf zwei Fragen formuliert. Die erste Frage lautete: "Mit welchem Profil kann die evangelische Kirche im Jahr 2035 erfahrbar und einladend präsent sein?"

  • Sie soll unverwechselbare und selbstbewusste Präsenz im öffentlichen Raum zeigen.
  • Sie soll zurückkehren zur echten Gemeinnützigkeit und sich trennen von Profitcentern.
  • Sie soll eine Wertegemeinschaft verkörpern und ihre Werte authentisch vertreten ohne zu missionieren.
  • Sie soll offen, digital und nahbar sein.
  • Sie soll Transparenz und Glaubwürdigkeit stärken.
  • Sie soll Kirche für alle sein, tolerant, vorurteilsfrei und barrierefrei.
  • Sie soll weniger predigen und mehr handeln.

Die zweite Frage lautete: "Welche Schwerpunkte soll die evangelische Kirche zukünftig setzen?"

  • Betreuung von Jugendlichen in Sprache, Projekten und Aktionen
  • Seelsorge als Lebensbegleitung und geistlich-spirituelle Begleitung in allen Lebenslagen
  • Mitmenschlichkeit und Fürsorge
  • Ausbau aller bestehenden Angebote, die aber besser an die Zielgruppen gebracht werden sollen
  • Persönliche Ansprache und eine Willkommenskultur
  • Verknüpfung der Religionen als Mitgestalter und Miteinander der Glaubensrichtungen
  • Öffentlichkeitsarbeit, Arbeit stärker präsentieren
  • Leitlinien Integration, Diversität, Inklusion, Weltoffenheit und Antidiskriminierung als Verfechter demokratischer und sozialer Werte.
  • Klare Positionierung, laute Stimme und dementsprechendes Handeln
  • Vorreiterrolle in der Bildung, die Kirche als moderne Bildungsplattform für alle Menschen.

Und das sind meine persönlichen Beobachtungen:

  • Der Adressat des Bürgergutachtens ist die Synode und ihr Vorstand. Nur sie wird dazu in der Lage sein, Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, entsprechende Konsequenzen in die Wege zu leiten, Maßnahmen zu treffen, Initiative zu ergreifen. Die Ortsgemeinden spielen praktische keine eigenständige  Rolle mehr. Sie werden nur noch umsetzen können, was die Synode beschließt. Sie sind endgültig zu Unterabteilungen des Kirchenkreises geworden. Pfarrerinnen und Pfarrer sowie die Mitarbeitenden in den Gemeinden werden zu Funktionärinnen und Funktionären, die die Beschlüsse des Kirchenkreises vor Ort umzusetzen haben.

  • Ein persönlich verantworteter Glaube, das Glaubensbekenntnis, das Netzwerk persönlicher Beziehungen vor Ort, die gemeinsam gelebte und gegenseitig kommunizierte Gottesbeziehung, also die "Kommunikation des Evangeliums", werden - was methodisch wohl auch anders gar nicht möglich ist - ausgeblendet (einzig in der Empfehlung der "geistlich-spirituellen Begleitung" deutet sich diese Dimension an). Was in der biblischen Darstellung der Kirche im Zentrum steht, spielt praktisch keine Rolle. Ausgangspunkt war einzig das Erscheinungsbild der evangelischen Kirche in der Stadtöffentlichkeit.

  • Eine theologische Reflexion findet praktisch nicht statt und wird fast vollständig durch den soziologisch-gesellschaftswissenschaftlichen Diskurs verdrängt. Ein Alleinstellungsmerkmal der evangelischen Kirche, also was sie ausmacht und unterscheidbar kennzeichnet, ist nicht mehr erkennbar. Oder anders formuliert: Ich bin nicht nur evangelischer Christ, sondern auch Sozialdemokrat. Als solcher habe ich mich sehr über die Empfehlungen des Bürgergutachtens gefreut. Sie haben mir eindrucksvoll bestätigt, wie sinnvoll es ist, Mitglied der SPD zu sein.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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