Wir müssen (noch) besser werden!

Heinrich Bedford-Strohms "Update der Reformation"

 

Eine öffentlich in der Gesellschaft agierende Organisation wie etwa eine Partei, eine Gewerkschaft, ein gemeinnütziger Verein oder irgendeine Institution kann durchaus einmal in eine tiefe Identitätskrise geraten und Zweifel an sich selbst und an den Sinn des eigenen Tuns bekommen. Sie wird dies jedoch in den allerseltensten Fällen zum Thema in ihrer Öffentlichkeitsarbeit oder in ihren Medien machen. Dort geht es schließlich um ein positive Image, darum, Vertrauen und Anerkennung zu wecken und möglichst gut da zu stehen. 

 

Und dennoch kann man heraushören: Es gibt Probleme. In Wirklichkeit stehen wir gar nicht gut da. Es gibt massive Zweifel am Sinne unseres derzeitigen Tuns und, damit verbunden, heftige Konflikte. Wir sind ein bisschen ratlos. Uns fehlen gerade mal die Ideen. Das wird so natürlich nicht vorgetragen. Aber, zwischen den Zeilen gewissermaßen, schlägt sich doch ein Echo davon nieder. Wir sagen dann nicht: Es läuft gerade mal nicht so, sondern es hört sich so an: "Wir sind echt gut. Aber wir müssen (noch) besser werden." Hinter dem Noch-besser-werden schimmert die Problemlage durch. 

 

Der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Heinrich Bedford-Strohm fällt nicht gerade durch einen selbstkritischen Blick auf seine Kirche auf. Im Gegenteil, seine Dauerpräsenz in den Medien soll signalisieren: Eigentlich ist die evangelische Kirche etwas ganz Großartiges! Aber wenn man sich eine Pressemeldung, wie ich sie auf katholisch.de gefunden habe, genau durchliest, wird man sehr schnell merken: Er gibt es zwar nicht zu, aber ihn plagen doch nagende Zweifel. Die verpackt er aber in das "Noch-besser-werden". Da müssen Möglichkeiten "besser genutzt" werden; die Kirche "müsse es schaffen" etc., sie müsse "mutiger und agiler" werden, es gehe um ein "Update der Reformation", er nennt "fünf Visionen" usw.: Sprachliche Signale dafür, dass alles doch ziemlich im Argen liegt. 

 

In diesem Fall geht es beim "Noch-besser-werden" darum, die "Digitalisierung besser zu nutzen", was für ihn nicht weniger ist als ein "Update der Reformation". Bei der "Mitgliederbindung sei seine Vision einer digitalen Kirche kaum verwirklicht", stellt er fest. Es geht ihm darum, sich "trotz der Fülle des Internets in der Gesellschaft sichtbar zu machen"; dies sei ja schon "mit dem EKD-Projekt Digitale Kirchtürme gelungen, das die Auffindbarkeit mittels Suchmaschinen verbessere". Digitale Angebote sollen "in Ergänzung zu physischen Begegnungsformen" gestärkt werden. Das ermögliche auch, "Weltkirche partnerschaftlich zu leben, ohne dabei das Klima durch den Kohlendioxid-Ausstoß von Flugreisen zu zerstören". Die Kirchen "hätten... vielerorts nicht mal die Emails ihrer Mitglieder". "Das entscheidende Kapitel der Kirche könnte Kommunikationsfähigkeit sein", so Bedford-Strom laut katholisch.de.

 

Man spürt geradezu den Frust, der den EKD-Ratsvorsitzenden bewegt: Ich habe meine Hausaufgaben gemacht, aber die anderen kriegen einfach ihren Hintern nicht hoch. Ähnliche Töne hört man auch von der rheinischen Kirchenleitung: Geredet haben wir genug, aber es fehlt an der Umsetzung. 

 

Ich kann und will nicht beurteilen, wie es in der Kirche um die digitale Kommunikation bestellt ist und das ist hier auch nicht mein Thema. Ich stoße jedoch auf viele in meinem persönlichen Freundes-, Bekannten-, und Familienkreis, die nicht mehr wissen, für was die Evangelische Kirche steht und ob es sie neben der katholischen Kirche auch noch geben muss. Was ist das Besondere, Typische, Kennzeichnende, ihr Alleinstellungsmerkmal? Was zeichnet sie aus? Was unterscheidet sie? Woran ist sie erkennbar? Warum sollte ich mich für sie interessieren? Die Evangelische Kirche droht im grauen Nebel der Profillosigkeit zu verschwinden. Sie ist da, aber niemand weiß mehr so recht, warum. Das ist keine Frage der Intensität und Qualität der Kommunikation. Der Ratsvorsitzende möchte gerne, dass kommuniziert wird, und zwar noch viel mehr als bisher. Meine Frage aber ist, was kommuniziert wird. 

 

Mit Händen zu greifen ist das bei seine Feststellung, dass "Babynahrungskonzerne... zur Geburt Begrüßungspäckchen an die glückliche Familie" schicken, "die Kirche aber fehlt mit der Einladung zur Taufe des Kindes". Das darf man zunächst als grobe Undankbarkeit gegenüber dem verstehen, was in den Gemeinden tatsächlich geleistet wird. Zum anderen sollte auch dem Ratsvorsitzenden doch klar sein, dass es den Babynahrungskonzernen weder um das Glück der Familie noch um die Gesundheit der Kinder geht, sondern einzig darum, dass die ihre Produkte kaufen - solange und sobald sie dies nicht mehr tun, sind sie völlig uninteressant. So vermittelt er unfreiwillig die Botschaft: Die Taufe ist vor allem im Blick auf langfristige Kirchensteuereinnahmen wichtig. Sonst ist sie eigentlich egal.

 

Er müsste doch auch auch wissen, dass er, bevor er zur Taufe einlädt, dringend vor ihr warnen müsste. Weil mit der Taufe das Todesurteil für das Kind rechtskräftig wird - und das wenige Monate nach der Geburt unter den Augen der vor Glück strahlenden Eltern! Ein vernichtendes Urteil über das Leben des Kindes, das in eine von der zerbrochen Beziehung zu Gott bestimmten Welt hineingeboren wurde. "Alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft", so erklärt Paulus das (Römer 6,3). Wer traut sich, das den Eltern im Taufgespräch zu sagen? Das Evangelische am Evangelium und an der Evangelischen Kirche ist, dass dieses Urteil längst vollstreckt ist, bevor das Kind geboren wurde, und zwar an Jesus am Kreuz, was der Grund ist, dass wir mit Gott versöhnt und im Frieden sind. "So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, auf dass, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in einem neuen Leben wandeln" (Römer 6,4). Das ist evangelisch! Das auf ein plattes "Gott hat alle Kinder lieb" zu reduzieren, verwischt das Profil unserer Kirche bis zur Unkenntlichkeit und es muss niemanden verwundern, warum dann keiner mehr was mit der Evangelischen Kirche anfangen kann - da mag man noch so laut und grell und pfiffig kommunizieren. 

 

Woran ich jedoch keinen Zweifel zulasse: Auch ich halte die Evangelische Kirche für etwas Großartiges. Ich bin leidenschaftlich evangelisch. Gerade deswegen finde ich solche Selbstgefälligkeit und Gängelei von oben überflüssig. Und kontraproduktiv.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    christoph sticherling (Freitag, 01 Oktober 2021 17:18)

    Danke, ich teile Deine Bewertung von Herzen; deshalb erlaube ich mir auch, Deinen Kommentar zu teilen, lieber Bruder!