Sonntagsmeditation: Das Geheimnis einer gut funktionierenden Kirche

Römer 10,9-17 - 17. Sonntag nach Trinitatis (26. September 2021)

 

Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und glaubst in deinem Herzen, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. 10 Denn wer mit dem Herzen glaubt, wird gerecht; und wer mit dem Munde bekennt, wird selig. 11 Denn die Schrift spricht (Jesaja 28,16): »Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.« 12 Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen. 13 Denn »wer den Namen des Herrn anruft, wird selig werden« (Joel 3,5). 14 Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? 15 Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht (Jesaja 52,7): »Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen!« 16 Aber nicht alle waren dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja spricht (Jesaja 53,1): »Herr, wer glaubte unserm Predigen?« 17 So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.

 

Ich habe es genau so selbst erlebt, wie Paulus das hier zusammenfasst. Eine Predigt war es, ich war vielleicht 16 oder 17, da habe ich die “Rechtfertigung allein aus Gnade durch den Glauben“ verstanden. Das hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. Schließlich bin ich selbst zum Prediger geworden.

 

Doch irgendwann im Laufe meines Dienstes als Prediger habe ich gemerkt, dass für eine gut funktionierende Kirche die Predigt gar nicht so wichtig ist. Ich hätte auf der Kanzel Blödsinn erzählen können oder auch gar nichts, es wäre weiter nicht groß aufgefallen. Wichtig ist für einen Pfarrer was anders. So, wie eine Gewerkschaft nicht ohne Gewerkschaftsfunktionäre und eine Partei nicht ohne Parteifunktionäre funktioniert, so kann auch eine Kirche nicht ohne Kirchenfunktionäre funktionieren. Ich war Kirchenfunktionär. Einmal habe ich nicht funktioniert. Da musste ich das Pfarramt verlassen. Fünf bis sechs Jahre insgesamt hat die Kirche mich, ich war ja verbeamtet, bezahlt, ohne für sie arbeiten zu müssen. Eine funktionierende Kirche muss das aushalten können. (Meine Energie habe ich in dieser Zeit übrigens zum Beispiel in die SPD gesteckt. Eigentlich sollte sich die Partei bei der evangelischen Kirche mal dafür bedanken, dass sie mich so viele Jahre kirchensteuerfinanziert für die Parteiarbeit kostenlos freigestellt hat.)

 

Eine funktionierende Kirche kann sich so viele Pfarrerinnen und Pfarrer nicht leisten. Sie muss vor allen in die Verwaltung, in das Finanzwesen und in die Medien investieren. Dafür braucht sie hoch qualifizierte und dementsprechend teure Verwaltungs-, Finanz- und Medienfachleute. Schließlich werden die Systeme immer komplexer und anspruchsvoller und erfordern den entsprechenden Sachverstand. Dass dafür die Pfarrstellen kontinuierlich abgebaut werden, ist Kennzeichen einer gut funktionierenden Kirche. Auch dass die Zahl der Gottesdienste reduziert und Kirchen stillgelegt werden, spricht für die Funktionstüchtigkeit der Kirche. Eine gepflegte Spiritualität wird einer funktionierenden Kirche wohl nicht schaden, ist aber auch nicht unbedingt erforderlich.

 

Der funktionierenden Kirche steht die Kirche gegenüber, die so normal lebt wie jedes Lebewesen, unspektakulär, unauffällig vielleicht, mag sein, ein bisschen langweilig - in jedem Fall aber: präsent, achtsam, verlässlich. (In den ersten Jahrhunderten war die Kirche übrigens auch öffentlich kaum wahrnehmbar, aber im Verborgenen hoch wirksam, Mt 5,13!) Sie ist keine Institution, sondern ein Ereignis, eine Geschichte, eine Erzählung. Sie braucht keine Mitglieder, sondern Menschen, die zusammenkommen. Die lebende Kirche ereignet sich dort, wo sie darauf hören, wie Gott spricht und was er sagt. Wir nennen die Kirche gerne creatura verbi, ein Geschöpf des Wortes. Damit ist kein einmaliger Schöpfungsvorgang am Angang gemeint, nicht etwas, was einmal erschaffen worden und dann für immer da ist. Vielmehr erschafft sich das Wort Gottes die Kirche immer wieder neu. Wir Evangelischen schauen nicht darauf, ob es Gott gibt oder nicht, welche Eigenschaften er hat, wie man ihn sich vorstellen muss u.s.w. Der Grund, warum wir glauben ist, dass Gott geredet hat und das Menschen ihn haben reden hören. Das wird in den biblischen Schriften dokumentiert. Wir glauben, dass sie auch uns meinen und wir hören in ihnen, dass Gott hier und jetzt auch zu uns spricht. Wir antworten darauf, indem wir seinen Namen anrufen. Wir taufen und brechen das Brot und segnen uns gegenseitig. So bekennen wir uns voreinander und öffentlich zu dem Bund, den Gott, wie den Bund mit Israel, mit uns geschlossen hat. Damit werden wir - auf die Weise, wie sie in Micha 6,8 beschrieben wird - zum Resonanzboden für die Stimme Gottes unter den Menschen.

 

Ein paar Hinweise in eigener Sache: 99% dessen, was ich hier schreibe, ist irgendwo geklaut. Da ich aber weder eine Doktorarbeit schreibe noch Politiker werden will, verzichte ich auf Quellenangaben (Meine Hand-Bibliothek sieht so aus). Wer genaueres wissen will, kann mich gerne fragen. Einige wird es stören, dass ich hier nicht gendere. Das vermeide ich hier, um die Lesbarkeit der Texte nicht zu beeinträchtigen. Die vorhergehenden Sonntagsmeditationen (ab dem 22. August 2021) finden sie hier.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0