Bonhoeffer, die Religion und die Arkan-Disziplin. Oder: Warum ich Michaelsbruder wurde (3/6)

Es ist offensichtlich, dass die Erkenntnisse, die Dietrich Bonhoeffer im Sommer 1944 gewonnen hat, nicht wirklich umgesetzt worden sind, und dass, bei aller Wertschätzung seiner Person, der Nachkriegsprotestantismus den Weg, den Bonhoeffer von der „Nachfolge“ über „Ethik“ zu „Widerstand und Ergebung“ beschritten hat, weitgehend nicht bis zum Ende mitgegangen ist und kaum Konsequenzen aus Bonhoeffers Entdeckungen gezogen hat. Die Kirche war noch nicht bereit, das Diesseits ohne Rückgriff auf Metaphysik und Innerlichkeit wahrzunehmen. Sie traute es den Menschen noch nicht zu, sich die Wirklichkeit selbst zu erschließen und zum „Subjekt der eigenen Lebensgeschichte“ zu werden, „ohne sich der Leitung eines anderen zu bedienen“. Warum das so ist, lässt sich exemplarisch an einem Aufsatz von Wolf Krötke veranschaulichen [1].

 

Krötke weist dort zunächst darauf hin, dass das Leben Bonhoeffers zum konkreten Zeugnis geworden ist und „selbst ein Text geworden (ist), an dem die Tragweite dessen ablesbar wird, was theologisch als wahr erkannt wurde.“[2] Er beschreibt den Zusammenhang zwischen dem Sein für andere und dem Teilnehmen am Sein Jesu bzw. dem Teilnehmen am Leiden Gottes: „Christus kehrt die Wendung des Menschen zu Gott um in eine Wendung des Menschen, bei der Gott ihm vorangeht.“[3] In diesem Zusammenhang stößt er auf zwei Probleme: „Zum einen muss man fragen, ob und wie es in einem solchen ‚weltlichen Leben‘ auch eine Wendung des Christen zu Gott geben kann und ob die nicht wieder ‚religiös‘ sein muss.“ Außerdem, so meint Krötke, „kann man den Eindruck gewinnen, dass die Kirche in ihrem weltlichen Leben nach Bonhoeffers Logik auf das Reden von Gott ganz zu verzichten und sich mit ‚Teilnehmen an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens‘ zu begnügen habe“[4]. Diese Fragen werden ja in der Tat immer wieder an Bonhoeffer gestellt. Krötke stellt fest, dass „Bonhoeffer selbst… diese Frage ebenso wenig systematisch expliziert“ hat und kann daher nur vermuten, dass in Bonhoeffers Sinn Verkündigung und Gebet „nicht mehr unter dem Gesichtspunkt des ‚Religiösen‘ zu beurteilen ist“. Denn „der Vorzug der religionslosen Gottlosigkeit, Gott näher zu sein als die religiöse Welt, würde gerade verspielt, wenn sie gar nicht die Möglichkeit bekäme, zwischen ihrer Gottlosigkeit und ihrer Weltlichkeit zu unterscheiden! Das ist aber nur möglich, wenn diese Welt mit Gott bekannt gemacht wird, wenn Christen, indem sie weltlich leben, von Gott reden“[5].

 

Wenn aber von Gott zu reden (und zu ihm zu beten) nicht mehr unter dem Gesichtspunkt des Religiösen zu beurteilen ist – was ist dann überhaupt noch unter dem Gesichtspunkt des Religiösen zu beurteilen? Wenn Kirche Religion ist, dann doch vornehmlich in diesen Gestalten? Krötke nimmt die Verkündigung vom Religionsverdikt aus um der Notwendigkeit willen, „zwischen Gottlosigkeit und Weltlichkeit zu unterscheiden“. Tatsächlich aber macht gerade diese Unterscheidung das Reden von Gott zu einem Phänomen der Religion (wie Bonhoeffer sie versteht), zu deren Wesen es gehört, eine solche Unterscheidung zu machen. Denn was gottlos ist und was weltlich zu Gott gehört, erschließt sich nicht aus der Wirklichkeit selbst. Hier müssen Kriterien von außen, aus einer Metaphysik, einem Offenbarungspositivismus oder einer Innerlichkeit in die Wirklichkeit eingetragen werden.[6] Eine solche Unterscheidung kann nur machen, wer sich einer entsprechenden Autorität unterwirft. Diese Auffassung Krötkes ist kennzeichnend für den von Barth und Bonhoeffer geprägten Nachkriegsprotestantismus: Auf der einen Seite grenzt man sich vom Phänomen „Religion“ ab, kann auf der anderen Seite auf einen Rest religiöser Elemente nicht verzichten, weil sonst kirchliches Leben kaum organisierbar wäre.

 

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[1] Wolf Krötke, Barmen, Barth, Bonhoeffer. Beiträge zu einer zeitgemäßen christozentrischen Theologie, 2009, S. 357-380

[2] Krötke 2009, 358

[3] Krötke 2009, 363

[4] Ebd. (Herv. im Original)

[5] Krötke 2009, 364 (Herv. im Original)

[6] So gelangen auch Vertreter einer theologischen Religionskritik unfreiwillig zu Feststellungen, die man – obwohl sie sich davon gerade abwenden wollen - nach Bonhoeffers (nicht unbedingt nach Barths) Verständnis religiös nennen muss, weil sie eben diese Unterscheidung vornehmen: „So ist die wahre Wirklichkeit und Weltlichkeit der Welt durch Jesus Christus begründet und verbürgt. Würde das Weltliche neben der Christusverkündigung sich behaupten und sein eigenes Gesetz bewahren, dann müsste es ganz sich selbst verfallen und - in religiöser Selbsterhöhung - an Gottes Statt treten.“ (Hans-Joachim Kraus, Theologische Religionskritik, 1982, 65)

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