Manchmal frage ich mich...

"Glaube in der Stadt" - "Wieviel Kirche braucht die Stadt" - Die Evangelische Kirche, auch in Düsseldorf, muss alles tun, um im Gespräch zu bleiben. Von der katholischen Kirche hat man ja wenigstens Bilder im Kopf, mit Weihrauch, Kniebeugen, Ministranten und dergleichen, aber was war noch mal evangelisch? Die tiefe Verunsicherung von uns Evangelischen, wer wir eigentlich sind, war beim Auftakt zum Düsseldorfer "Bürgergutachten" mit Händen zu greifen. Warum bin ich selbst evangelisch, und sogar Pfarrer? Wie ist es eigentlich dazu gekommen? Manchmal frage ich mich, ob ich heute noch mal Pfarrer werden würde. Naja, wenn ich's nicht geworden wäre, hätte ich wahrscheinlich ein Leben lang auf irgendeinem Gymnasium Deutsch und Geschichte unterrichtet. Noch schlimmer. Ich hatte ja nichts anderes. Dazu immerhin, aber zu mehr reichten meine Begabungen nicht aus. Und ich kannte nichts anderes. Ich bin im Pfarrhaus groß geworden. Ich habe mich nie wirklich für den Protestantismus entschieden. Ich hab nur hingenommen, was war. Und am Spätnachmittag meines Lebens werde ich auch nicht noch mal neu aufbrechen. Wohin auch?

 

Aber bevor mir jemand Depressionen unterstellt, mach ich mich doch noch mal auf den Weg, allerdings nicht woanders hin, sondern zu den eigenen Quellen. Dazu muss ich allerdings ziemlich genau 500 Jahre zurückgehen. Der Reichstag zu Worms hatte eine Tagesordnung, die genau so langweilig war wie die einer heutigen Presbyteriumssitzung, Verwaltungs-angelegenheiten, Streitfragen und so Sachen. Die wirklich wichtigen Sachen passierten am Rande. Der junge und tiefgläubige Kaiser, der sich als Anwalt und Verteidiger des ehrwürdigen und weit über tausend Jahre alten Christentums berufen fühlte, kam nicht daran vorbei, mit dem etwas merkwürdigen Mönch aus Wittenberg zu reden, der angesichts der versammelten Macht des heiligen römischen Reiches so eingeschüchtert war, dass er noch mal um einen Tag Aufschub bat. Aber am nächsten Abend war er dann klar und sehr entschlossen:

 

„Ich kann und will nicht widerrufen, weil weder sicher noch geraten ist, etwas wider das Gewissen zu tun. Es sei denn, dass ich mit Zeugnissen der Heiligen Schrift oder mit öffentlichen, klaren und hellen Gründen und Ursachen widerlegt werde, denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilen allein, weil es offensichtlich ist, dass sie oft geirrt und sich selbst widersprochen haben. Gott helfe mir. Amen.“

 

Ohne dieses Votum Martin Luthers hätte die Geschichte Europas einen anderen Verlauf genommen und gäbe es heute keine evangelische Kirche, zumindest nicht in der uns vertrauten Form. Um zu wissen, wie es dazu gekommen ist, müssen wir noch mal ein paar Jahre zurückgehen. Manchmal kommen einem auf dem Klo die besten Gedanken, und gelegentlich hat Martin Luther behauptet, die entscheidende Idee, die zur Gründung der evangelischen Kirche geführt hat, sei ihm dort gekommen. "Diese kunst hat mir der Heilige Geist auff dieser cloaca auff dem thorm eingeben" (z. n. Heinz Schilling, Martin Luther, Biographie 2014, S. 148). Es geht um Römer 1,17: "Sintemal darinnen offenbaret wird die Gerechtigkeit / die für Gott gilt / welche kompt aus Glauben in Glauben / Wie denn geschrieben stehet / Der Gerechte wird seines Glaubens leben." Es geht um die Entdeckung, dass ich mich für nichts rechtfertigen muss. Zumindest nicht vor Gott. Für nichts. Jahrhunderte lang haben Menschen versucht und alles dran gesetzt, um einigermaßen mit Gott im Reinen zu sein und im Frieden zu leben. Viele sind daran gescheitert. Luther kommt und sagt, ist alles gar nicht nötig. Gerechtigkeit, Frieden, Versöhnung. Alles schon geregelt.

 

Die Sache ist nämlich, dass wir alle vor Gott Angst haben. Das unterstelle ich auch jenen, die gar nicht an Gott glauben. Das ist nämlich das Heimtückische an der Angst. Man muss nicht dran glauben, aber es macht einem trotzdem Angst. Damals zur Zeit der Reformation hatten die Menschen Angst. Sie hat letztlich die Reformation ausgelöst. Aber heute haben wir Menschen auch Angst. Genauso wie damals. Wir geben es nicht unbedingt zu. Aber was ist, wenn wir alleingelassen werden? Wenn alles von uns abhängt? Wenn wir zu schwach sind um zu tun was nötig wäre? Wenn wir, so oder so, völlig überfordert wären? Unsere Welt und unser Leben sind extrem zerbrechlich geworden. Und werden auch mal zerbrechen. Bleibt dann was, was nicht zerbricht? Ich habe mich nicht selbst erschaffen und ins Leben gerufen. Der, der dafür verantwortlich ist (oder die, von mir aus), nennen wir Gott. Und wenn er oder sie für mich verantwortlich ist - was passiert, wenn er oder sie tatsächlich die Verantwortung für mich übernimmt? Gott übernimmt für mich die Verantwortung. Das ist es. Vielleicht ist es unverantwortlich, sowas zu behaupten. Aber evangelisch. Darum bin ich und bleibe ich evangelisch, weil Gott für mich die Verantwortung über nimmt. Und nicht nur für mich, für alle. Für die ganze Welt.

 

Mag sein, dass das Evangelische Christentum heute  staubtrocken und gesichtslos daher kommt. Aber mir hat es die Angst genommen. Nicht dass ich keine Angst mehr hätte. Aber bis jetzt war der Glaube immer noch stärker und hat mir immer wieder die Angst genommen. 

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