Chuzpe oder Der Hauptmann von Köpenick

Lukas 16,1-9 - vorletzter Sonntag im Kirchenjahr (Reihe II)

 

Das jiddische Wort "Chuzpe" ist ins Deutsch kaum zu übersetzen. Es stammt vom hebräischen chuzpáh = Frechheit, Anmaßung ab. Es meint ein ein unverfrorenes, dreistes, unbeeindrucktes, geschicktes, aber irgendwie charmantes und bewundernswertes Verhalten. Ein berühmtes Beispiel für Chuzpe - auch wenn dieses Wort in dem Zusammenhang nicht fällt - ist der Hauptmann von Köpenick, der den meisten durch die Verfilmungen mit Heinz Rühmann oder Harald Juhnke vertraut sein dürfte. Der Schuster Wilhelm Voigt kaufte sich bei verschiedenen Händlern eine Uniform zusammen und gab sich mit ihrer Hilfe als Hauptmann des ersten Garde-Regiments aus. Er berief sich auf eine Kabinetssorder mit allerhöchstem Befehl und übernahm er einen Trupp Gardesoldaten und ließ noch weitere Wachsoldaten hinzukommen. Mit denen fuhr er mit der S-Bahn nach Köpenick, besetzte das Rathaus und beschlagnahmte den Barbestand der Stadtkasse. Später tauchte er Richtung Berlin unter und wurde erst nach 10 Tagen verhaftet. Das ist Chuzpe. 

 

In einer berühmten und bewegenden Szene in jenem Stück von Carl Zuckmayer sinniert der Schuster Wilhelm Voigt über sein Leben: Und denn, denn stehste vor Gott, dem Vater, ….und der fragt dir, ins Jesichte: Willem Voigt, wat haste jemacht mit deine‘ Leben. Und da muss ick sagen: Fußmatten, muss ick sagen, die hab ick jeflochten im Jefängnis. …. Det sachste vor Gott, Mensch. Aber der sacht zu dir: Jeh weck, sacht er! Ausweisung! Sacht er. Dafür hab ick dir det Leben nicht jeschenkt! Sacht er. Det biste mir schuldig. Wo is et? Wat haste mit jemacht?“

 

Um Chuzpe und um die Frage: Wat haste jemacht mit deine‘ Leben geht es in diesem Gleichnis. Vielleicht gehört beides so eng zusammen, dass es kein Zufall ist, dass beides sowohl beim Hauptmann vom Köpenick wie auch beim "ungerechten Verwalter" zusammen auftritt. Zum Mindesten, und das wird sich jetzt zeigen, war der Schuster Wilhelm Voigt so weit weg nicht von dem, was Jesus bewegt. Und Chuzpe begegnen wir auch hier. 

 

Wahrscheinlich haben seine Jünger die Story zum Besten gegeben, die sie irgendwo aufgefangen haben. Der Soundso, der ja ein riesiges Gut hat, der hat seinen Manager gefeuert. Hat der was unterschlagen oder einfach nur falsch investiert? Das wussten die Jetzt auch nicht. Was sie aber zu erzählen wussten, war das mit der Urkundenfälschung. Vielleicht hat er ihnen das selber erzählt. Er hat ein paar Schuldbriefe genommen und die neu geschrieben. Bei einem hat aus hundert Fass Öl fünfzig gemacht, die er noch schuldete. Und bei einem anderen waren es statt hundert Sack Weizen nur noch achtzig. Das muss er alles noch in den letzten Tagen gemacht haben, bevor er endgültig weg war. "Die denken dann später mal an mich. Falls ich mal Hilfe brauche", meinte er. Statt in Sack in Asche zu gehen oder den Fehler wieder gut zu machen oder sich zu entschuldigen nutzt er ohne mit der Wimper zu zucken die Tage, wo er noch das Passwort hat, um sich beliebt zu machen. Dieses Schlitzohr! Das ist echt Chuzpe. 

 

Gerade solche Typen mag Jesus. Er hat nicht so den Spaß mit Leuten, die so demonstrativ gottesfürchtig sind oder mit so Frömmlern, oder solche, denen die Anständigkeit aus jedem Knopfloch entgegengrinst. Aber solche Schelme, solche Wilhelm Voigts, die sind echt köstlich. Weil das Leute sind, die was aus ihrem Leben machen. Weil das nämlich seine Frage ist. Weil er die jedem stellt, der ihm begegnet. Seinen Jüngern und allen, die da noch zu kommen. Wat haste jemacht mit deine‘ Leben? Dass sie Gesetze gebrochen haben, Wilhelm und der Verwalter, dass ihr Verhalten moralisch nicht einwandfrei war, das steht ja außer Zweifel. Jesus beschönigt daran ja auch nichts. Aber das ist nicht, was ihn sonderlich interessiert. Es ist ja spannend zu sehen, wie beide die Lächerlichkeit und Fragwürdigkeit der Verhältnisse offen gelegt haben, in denen sie leben. Sie konnten daran nichts andern. Sie waren in diese Verhältnisse selber verstrickt, Wilhelm im preußischen Militarismus und der Verwalter im Kapitalismus. Sie sind nicht aus diesen Systemen ausgebrochen. Sie habe nicht gesagt: "Das ist alles so zwielichtig, damit will ich nichts zu tun haben!" Auch Jesus ist mit seinen Jüngern auch nicht in der Welt ausgezogen, etwa weil sie so schlecht war. Es ja immer wieder Versuche gegeben, aus der argen, schnöden Welt auszuwandern, in die Wüste, ins Kloster, in die Enthaltsamkeit, um nur ja sich nicht mit der Sünde zu beschmutzen und das Seelenheil zu gefährden. Das fanden die Reformatoren auch nicht gut. Manchmal hat man den Eindruck, die Leute haben Angst, sie werden im jüngsten Gericht gefragt, wie viel oder wenig sie gesündigt haben. Das interessiert niemanden, weil, da hätten wir sowieso verloren, wenn die Frage käme. 

 

Aber andere behaupten wiederum, es gäbe überhaupt kein jüngstes Gericht. Weil Gott vergibt doch alles, der ist doch gnädig und deswegen brauchen wir auch kein jüngstes Gericht. Das fände ich übrigens einen schrecklichen Gedanken, weil dann die Hitlers und Stalins und Polpots und Karadzics und, ach was weiß ich, dann auch nicht mehr zu fürchten haben. Wie lächerlich denken wir eigentlich von Gott? Wollen wir aus dem einen Hampelmann machen, wo man dann nach Belieben ziehen kann, wenn der sich rühren soll?

 

Ich finde es interessant, dass alle Kulturen so etwas wie eine letzte Instanz haben, und sich die Frage nicht verkneifen, was ein Leben am Ende wert gewesen ist. Ich bin mir sicher, dass schließlich alle, auch wenn allen nicht immer bewusst ist, diese Frage bewegt: Wat haste jemacht mit deine‘ Leben? Der vorletzte Sonntag im Kirchenjahr, der kommende Sonntag also, ist traditionell der "Sonntag vom jüngsten Gericht". Da soll diese Frage zum Zuge kommen.

 

Habe ich jemandem einen Schreck eingejagt? Vielleicht, weil auf die Frage, was man aus seinem Leben gemacht haben könnte, so leicht gar keine Antwort zu finden ist? Aber das ist ja gar nicht die Frage. Man muss schon genau sein. Jesus hätte die Leute nie gefragt, was sie aus ihrem Leben hätten machen können, was sie aber nicht gemacht haben. Ich bin immer wieder Leuten begegnet, die meinten, sie hätten ihr ganzes Leben verpfuscht. Übrigens waren das oft Jugendliche, die die meiste Zeit ihres Leben ja noch vor sich haben. Aber du hast dein Leben ja noch vor dir. Vielleicht sind's nur einige Tage, vielleicht aber noch viele Jahre. Und die Frage lautet nicht, was hättest du machen können? sondern sie lautet: Was machst du draus? Für die Menschen, bei denen Jesus den Glauben geweckt hat, war diese Begegnung immer ein Neuanfang. Die Ermächtigung, aus dem Leben, dass ich jetzt lebe, was zu machen. Du kannst was draus machen. Und sei es, dass du es geschehen lässt, dich loslässt, dich anvertraust, dich überlässt, dich zulässt - was unsere Sprache mit dem wunderbaren Wort Gelassenheit zum Ausdruck bringt. Denn auch so kann man was aus seinem Leben machen. Das ist sogar die Voraussetzung dafür. Und das ist es, was die Christen "Glauben" nennen. Und eben jener Glaube ist es, der uns die Angst nimmt, vor dem Tod, vor dem jüngsten Gericht, vor Gott. Wem diese Angst genommen wird, der hat schon was aus seinem Leben gemacht. Das reicht schon, ein Leben wertvoll zu machen. Und zu einem, dass sich zu leben gelohnt haben wird. Du hast was aus deinem Leben gemacht.

 

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