Ihr werdet uns brauchen. (3/8)

Weil wir lesen.

 

Eine besondere, vor allem in der evangelischen Kirche wichtige Form der Einübung in die Stille und die Meditation ist das Lesen. Dabei geht es nicht darum, dass wir den ganzen Tag mit dem Lesen von Botschaften auf Bildschirmen, Armaturen, Anzeigen, Smartphones, Wegweisern, Hinweisschildern, in Akten, Zeitschriften, Zeitungen, von kurzen und kürzesten Texten oder Textfragmenten beschäftigt sind. Hier geht es um das geduldige Lesen - "Auf"-Lesen - von zusammenhängenden Texten, etwa eines Artikels, Aufsatzes oder Buches. Solche Texte sind ja selbst in einem meditativen, konzentrierten Vorgang entstanden und sie lösen beim Lesen wiederum Meditation, Konzentration, zuweilen auch Kontemplation aus. Wer es gewohnt ist, Bücher und lange Texte zu lesen, kennt den "Flow" der sich dabei einstellen mag, die Eigendynamik, die es ermöglicht, ggf. stundenlang den Prozess des Lesens ohne Ermüdung fortzusetzen. Wir lesen die Bibel, sehr unterschiedliche Texte in sehr unterschiedlicher Gestalt, von sehr unterschiedlichen Menschen zu sehr unterschiedlichen Zeiten verfasst, die aber eine zusammenhängende Geschichte, auch unsere, erzählen. Sie ist entstanden, weil Menschen des Bedürfnis hatten, für andere Menschen und Zeiten festzuhalten, was sie erlebt haben, und diese haben darin ihre eigene Geschichte wiedergefunden. Aber einmal damit angefangen, lesen wir auch andere Bücher. Was wir lesen, ruft in uns Bilder hervor und lässt sie wachsen, wir "bilden" uns, sie fordern uns zum Nachdenken heraus, wie wir unsere eigene Geschichte erzählen und aufschreiben würden (bzw. werden). So werden wir sprachfähig. Wir lesen Texte, die auch andere lesen, und so entstehen Plattformen, die es uns ermöglichen, miteinander - aber auch mit anderen - ins Gespräch zu kommen. Das Wort Gottes begegnet uns in Schriftform, so dass Lesen - und Schreiben - ein wesentliches Merkmal unserer Christseins darstellt. 

 

(Fortsetzung)

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