Rede auf die Bruderschaft

...aus Anlass meiner Aufnahme in dieselbe, gehalten am Vorabend, am 12. Oktober 2019 in Liebfrauenberg im Elsass:


Ihr habt vielleicht mitbekommen, dass es gestern einen Rücktritt gegeben hat. Nein, nicht Donald Trump oder Boris Johnson, die leider nicht. Die Sache ist durchaus nicht spaßig: Gestern ist der Bischof der sächsischen Landeskirche zurückgetreten. Man hat ihm unter anderem vorgeworfen, dass er einen obskuren Männerbund angehört, dessen Ziele nicht so ganz klar sind.


Das müsste uns aufschrecken. Wir sind ja auch ein Männerbund. Dessen Ziele sind auch nicht jedem klar. Und: Unter und sind zwei Bischöfe... Gut, dass die schon im Ruhestand sind.


Als eine von mir sehr geschätzte Schwester im Herrn und im Amt erfuhr, dass ich mich gerade der Michaelsbruderschaft annähere, reagierte sie sehr zurückhaltend. „Da sind ja nur Männer!“ Ich habe es nicht laut gesagt, aber gedacht: Genau. Das hat schon was, wenn sich Männer zusammentun, um Spiritualität zu verwirklichen. In der katholischen Kirche kennt man das, bei uns ist das noch ungewohnt, und damit das bei uns Evangelischen nicht als allzu krass empfunden wird, sind ja auf unseren Tagungen immer Frauen dabei. Wenn Männer sich nämlich um Spiritualität kümmern, dann sind die nicht immer nur nett. Das sind die nur, wie gesagt, wenn die Frauen da sind. 


Wenn Wilhelm Stählins Autobiographie liest oder die Geschichte der Michaelsbruderschaft von Hans Carl von Haebler, dann denkt man zuweilen, meine Güte, was haben die sich gekloppt, die Brüder. Das fing schon mit dem verärgerten Rückzug eines der Stifterbrüder (Ludwig Heitmann) an und ging bis zum – da war doch mal was mit vier oder fünf Notenlinien im Tagzeitenbuch, wenn ich das richtig mitbekommen habe. 


Aber auch in der apostolischen Männerbruderschaft am Anfang flogen ja durchaus die Fetzen zwischen Paulus und Barnabas oder zwischen Paulus und Petrus, Paulus mit den Korinthern oder Galatern, immer wieder Paulus, und manchmal bin ich ganz froh, dass der nicht gerade mein Kollege war. 


Ich habe die Sommerferien dazu genutzt, um mich – nicht zuletzt auch als Vorbereitung für den morgigen Tag – mit der Lebensgeschichte von zwei genialen Protestanten zu befassen, nämlich Karl Barth und Wilhelm Stählin. Die mochten sich ja nun gar nicht, obwohl sie manches gemeinsam hatten. Sie waren etwa gleich alt, in den Achtziger-Jahren des 19. Jahrhunderts geboren, waren für kurze Zeit mal Kollegen an der gleichen Fakultät. Beiden war die akademische Karriere nicht gerade ins Stammbuch geschrieben und sie haben sich gelegentlich beide nach dem Pfarramt zurückgesehnt. Beide haben nachhaltig unter der Situation ihrer evangelischen Kirche etwa in den zwanziger Jahren gelitten. Und beide sind nicht unbedingt wegen ihrer Sanftmut berühmt geworden und man hat das Gefühl, die möchte man nicht gegen sich haben. Beide waren Sie irgendwie genial und – wie das ja bei solchen immer so ist – irgendwie auch große Einseitige. Karl Barth hat die Unverfügbarkeit Gottes und die Souveränität des Wortes Gottes herausgestellt – aber von ihm und seinen dialektischen Freunden und Freundinnen (die hatte er ja auch, zumindest eine) habe ich mich im Blick auf die Frage, wie wir denn als Antwort auf das Wort Gottes unser persönliches, gemeinsames und kirchlichen Leben gestalten, ein bisschen allein gelassen gefühlt. 


Diese Antwort habe ich bei Wilhelm Stählin gefunden – aber von ihm hätte ich mir ein klares Bekenntnis zu Bekennenden Kirche gewünscht. Er meinte, unter anderem wegen seiner Bindung an das Augsburger Bekenntnis die Barmer Erklärung nicht unterschreiben zu können. Aus dem Abstand gesehen finde ich, dass sich die sechs Sätze von Barmen und die sechs Regeln von Berneuchen wunderbar ergänzen und zusammengehören. Denn beide, Barth wie Stählin, hatten noch eine Gemeinsamkeit, die mancher Barthianer oder Stählinist vielleicht nicht unbedingt sehen will. Beide haben sich – auf je ihre Weise, aber eindeutig und unmissverständlich an Jesus Christus gebunden. Als Antwort darauf schrieb Karl Barth die Kirchliche Dogmatik und Wilhelm Stählin gründete mit anderen eine Bruderschaft und ordnete das geistliche Leben.


Wenn ich morgen im leicht abgetragenen Chormantel meines Vaters in die Bruderschaft mit allen Rechten und Pflichten einziehe, dann weiß ich: Das wird nicht enden mit dem Gezänk. Und ich werde mitten drin stecken. Ich werde sauer sein, mich gekränkt fühlen; ich hatte aber trotzdem recht. Aber denn erinnere ich mich dran, wie Paulus und Barnabas miteinander gestritten haben – und die Kirche ist trotzdem entstanden. Die Väter und – wenn’s sie gab – Mütter der Evangelischen Kirche in Deutschland waren sich in der Gründungsphase nach dem Krieg, unter ihnen Barth und Stählin, wahrlich auch nicht grün, und es gibt sie doch. Jetzt kommt auch noch dazu, dass unser Rheinischer Konvent – einer evangelischen Bruderschaft! – nun von zwei Römern geleitet wird. Ich gestehe ehrlich, dass ich mich gefragt habe, passiert mit der Bruderschaft jetzt das Gleiche wie mit Taizé und wird immer katholischer? Gut, wenn man bedenkt, dass es auf der anderen Seite gerade eine Heidenangst vor der Protestantisierung der katholischen Kirche gibt, ist diese Entwicklung so ganz abwegig ja nicht. Die einen wollen angeblich nach Rom – ein beliebter Vorwurf an unsere Adresse – die anderen angeblich weg von Rom. Was ist, wenn beide sich auf halbem Weg sich begegnen? Sagen wir, in der Gegend von Augsburg. Da würden sich ganz neue Perspektiven auftun und das europäisch-westkirchliche (früher hätten wir gesagt: abendländische) Christentum könnte sich ganz neue Ausdrucksformen verschaffen. Mit einer von zwei Katholiken geleiteten evangelischen Bruderschaft machen wir erschlossen und selbstbewusst den Anfang.


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