Weckruf an ein tief verunsichertes Christentum

Offb 2,8-11: Und dem Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe: Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig geworden: Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut – du bist aber reich – und die Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden, und sind's nicht, sondern sind die Versammlung des Satans. Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr versucht werdet, und ihr werdet in Bedrängnis sein zehn Tage. Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen von dem zweiten Tode. 

 

Ich kann es nicht mehr hören. Die Zeit der Volkskirche ist zu Ende. Das Christentum wandert aus der Gesellschaft aus. Wir werden zur Diasporakirche. Wir werden zum Randphänomen. Wir müssen abspecken und gesundschrumpfen. Wir sind kaum noch relevant. Wir werden immer weniger wahr- und auch nicht immer mehr ernst genommen.

 

Lieber Schwestern und Brüder, wir haben eine Art uns klein und schwach zu reden, die schon an Selbstzerstörung grenzt. In dem Moment, wo wir entdecken müssten, dass wir gebraucht werden, weil in unseren europäischen Gesellschaften zunehmend unsicher werden, woran sie sich orientieren sollen, ziehen wir uns immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück. Entschuldigen sie bitte, dass es uns noch gibt.

Gott spielt kaum eine Rolle mehr in unsere europäischen Welt. In anderen Weltgegenden mag das anders sein, aber Europa verabschiedet sich gerade von Gott. Nicht unbedingt von Religion und so Sachen, aber das ist so diffus, so abstrakt, so wolkig, so beliebig und das macht jeder mit sich selbst und für sich selbst aus. Aber Gott? Wo kommt Gott noch vor außer in unseren Phantasien, Philosophien und Spekulationen. Gott kommt immer weniger vor. Vielleicht glauben die meisten Menschen an so was oder so was ähnliches, was man Gott nennen könnte, aber reden tut keiner mehr darüber.

 

Aber statt selbstbewusst Orientierung anzubieten, statt es zu riskieren und klar zu sagen, da geht’s lang, statt das Wagnis einzugehen und beim Namen zu nennen: Darauf kommt’s an – statt Klartext zu sprechen, sind wir selbst zutiefst verunsichert. Die mögen uns nicht die Leute! Die haben uns nicht mehr lieb. Die finden uns öde. Die können nichts mit uns anfangen. Wie kriegen wir dahin, dass die uns wieder liebhaben.

 

Wir sind verunsichert. Und damit sind wir bei den sieben kleinasiatischen Gemeinden, deren Namen im zweiten und dritten Kapitel der Offenbarung des Johannes genannt werden. Wir haben was gemeinsam. Die waren nämlich auch verunsichert. Sie waren damals noch nicht so alt, vierzig Jahre, vielleicht fünfzig. Von Paulus waren sie damals gegründet worden. Sie waren so klein, dass sie in ein Wohnzimmer passten. Aber sie entwickelten eine unglaubliche Dynamik. Lebendigkeit, Wachstum, Begeisterung. Aber nun stagnierte es. Sie kamen nicht mehr vorwärts. Sie fühlten sich müde. Sie waren ein bisschen alt geworden. Hatten sie noch Zukunft? War die Geschichte des jungen Christentums vielleicht doch schon wieder zu Ende. Hatte der Christusglaube seinen Zenith schon überschritten? War da nicht schon Auszehrung zu spüren?

 

Der judenchristliche Wanderprediger und Wanderprophet Johannes spürte diese Stimmung überall, in allen Gemeinden, die er besuchte. Es war besorgniserregend, was er da sah. Und nun schreibt er an sie, einen seelsorgerlichen, ermutigenden, aber auch ermahnenden Brief. Er geht auf die Gemeinden individuell ein. Nach Ephesus schreibt er: Du bist müde geworden, aber tu deine ersten Werke wieder: Nach Smyrna: Ich kenne der Bedrängnis und deine Armut, du aber bist reich. Nach Pergamon: Du wohnst da, wo der Teufel seinen Thron hat, aber du hältst an meinem Namen fest. Nach Thyatira: Ich kenne der Werke und deine Liebe und deinen Glauben. Nach Sardes: Werde wach und stärke, was schon sterben wollte. Nach Philadelphia: Du hast eine kleine Kraft, aber du hast mein Wort bewahrt und meinen Namen nicht verleugnet. Nach Laodizea: Du bist lau – ach dass du kalt oder heiß wärest.

 

Jede Gemeinde hat ihre eigene Geschichte und ihre eigene Problematik. Auf jede Situation geht er einzeln ein. Aber allen Gemeinden ist gemeinsam: Sie sind ausgebrannt. Von inneren und äußeren Konflikten gezeichnet. Da sind die sektiererischen Gruppen, die sich für noch besseren und konsequenteren Christen halten und die Gemeinde deswegen verlassen haben und jetzt bekämpfen. Da sind die jüdischen Gemeinden, zwischen denen und den christlichen Gemeinden eine herzliche Abneigung herrscht. Und da ist vor allem das Imperium Romanum, das römische Reich. Damals die große Erfolgsgeschichte. Noch nie hat es ein so großes, so wohl organisiertes, so mächtiges, so wohlhabendes Reich gegeben. Eine starke Armee, eine glänzende Verkehrsinfrastruktur, eine hoch komplexe Verwaltung, ein hoch entwickeltes Rechtssystem, lebendiger Handel und Wandel, großartige Kulturen.

 

Aber auch große und mächtige Kulturen sind, wie wir wissen, auch nicht davor gefeit, dass anderen Spitze Frauen oder Männer stehen, deren Eignung für ihr Spitzenamt eher zweifelhaft sind. Für dem römischen Kaiser der Neunziger Jahres des ersten Jahrhunderts, Domitian, traf das gewiss zu. Hätte es damals die Möglichkeit gegeben zu twittern – Domitian hätte reichlich Gebrauch davon gemacht. Domitian war extrem eitel. Und er war sehr leicht zu kränken. Und da war gefährlich. Er war ständig damit beschäftigt, ob die Leute ihn auch wirklich mochten. Er zwang die Bürgerinnen und Bürger seines Riesenreiches, sich zu ihm, so wörtlich, als Herrn und Gott zu bekennen, als Dominus et Deus, als Kyrios kai Theos. Jetzt verstehen Sie vielleicht auch, warum wir im Gottesdienst im Kyrie eleison singen. Damals wurde so der Kaiser begrüßt und gehuldigt, aber mit diesen Worten bekannten und bekennen die Christen bis heute: Unser Herr ist Gott und kein anderer, kein Trump, kein Putin, kein Bolsonaro, kein Erdogan, kein Xi Jinping. An jedem Ort des Reiches stand auf dem Marktplatz ein Kaiseraltar und jeder musste Weihrauchkörner in die Glut werfen, um sein Bekenntnis zum Kaiser sichtbar zu machen. Und das konnten die Christen natürlich nicht. Deswegen wurden sie denunziert, gehasst, angefeindet, verhaftet, gefoltert und manchmal auch getötet. Und das römische Reich erschien dabei so mächtig, so unangreifbar, so erfolgreich – wie sollten die kleinen, schwachen, unansehnlichen Gemeinden dagegen ankommen? Depression machte sich breit, weil alles nach Niedergang aussah. Wie heute. Die Welt ist kaputt, die Demokratie geht kaputt, der Friede vielleicht auch und die Kirche ist auch kaputt. Es zerbröselt alles.

 

Und deswegen, so hat Johannes sich gedacht, brauchen die einen völlig anderen Blickwinkel. Die gucken immer nur bis vor die Füße. Das ist dann natürlich alles trübe was man da sieht. Aber seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht, sagt Jesus schon. Und genau darum geht es. Aufsehen und das Haupt erheben. Die Briefe an die sieben Gemeinden sind nur der Auftakt für eine atemberaubende, gewaltige Vision, die sich in den nächsten fast zwanzig Kapiteln entfaltet. Es kommt übrigens nicht darauf an, da alles verstehen zu wollen. Die Offenbarung des Johannes erscheint uns ja selbst manchmal als ein Buch mit sieben Siegeln, das dort ja auch vorkommt. Es ist gar nicht wichtig, die ganzen symbolischen Zahlen, die Tiere, die Gestirne und das alles zu verstehen. Entscheidend ist nicht das WIE, sondern das DASS: Was Johannes hier entfaltet, ist das Kommen Gottes in seine Schöpfung. Unser Gott kommt und schweigt nicht! So haben wir im Psalm eben schon gebetet. Unser Gott kommt und schweigt nicht. Es ist nicht so, dass alles den Bach runter gut und alles sich mehr weniger nach und nach Stück für Stück auflöst. Vielmehr wird die Welt zum Ort der Rückkehr Gottes in sein Eigentum, in seine Welt, in seine Schöpfung. Wenn die Gemeinden dass nicht mehr im Blick haben, wie sollen sie denn dann Zuversicht fassen.

 

Ich kann mir vorstellen, dass den Leuten die Tränen in den Augen standen. Tränen der Erleichterung. Als der Brief des Johannes des Propheten vorgelesen wurde. Als sich die ganze Geschichte vor ihren Augen abspielt. Als dann zum Schluss das neue Jerusalem herabkommt: Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! (Offb 2,8-11)

 

Wie haben manchmal nur die Augen dafür wie wir älter und älter werden. Wie die Natur mehr und mehr zerstört wird. Wie der Friede zunehmend bedroht wird. Wir haben manchmal das Gefühl, dass wir das alles doch aufhalten müssten. Dass wir aber genau damit völlig überfordert sind. Was Menschen in unserer Welt für Schaden angerichtet haben, das werden wir nicht mehr wieder gut machen können und da nützen alle gut gemeinten Appelle auch nichts. Aber darum geht es auch nicht. Sondern es geht darum, den Blick zu schärfen dafür, dass unsere Welt zum Ort bestimmt ist, an den Gott zurückkommt. Unser Gott kommt und schweigt nicht! Wir sind die, die das Kommen Gottes vorbereiten, den Weg unserem Gott bahnen, darauf hinweisen, Gott kommt zurück, er ist schon auf dem Weg hierher.  

 

(Predigt, gehalten in der Kirche zum Frieden Gottes in Bergisch Gladbach, 18. November 2018)

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