Der Geist weht, wo er will, aber manchmal will er eben nicht

Der Geist weht, wo er will: Diesen Satz hört man in der Regel dann, wenn er gerade mal nicht weht. Er ist als Entschuldigung gemeint. Ich kann nichts dafür, wenn er gerade auf Standby ist. Schließlich weht der Geist, wo er will. Und wenn er nicht will… darauf haben wir keinen Einfluss.

 

Das ist allerdings nicht nur eine Entschuldigung. Sondern es entspricht den Tatsachen. Das Wehen des Geistes ist kein kontinuierlicher Luftstrom. Völlig unerwartet pustet er die Leute durch, dann ist erst mal für lange Zeit Ruhe. Dann plötzlich macht er sich wieder bemerkbar, diesmal vielleicht nicht ganz so heftig, dafür aber nachhaltig, oder in kurzen, aufeinander folgenden Stößen, oder in einem sanften, kaum wahrnehmbaren Lufthauch, und schließlich ist wieder Ruhe.

 

Die Zeiten, in denen der Geist nicht wehen will, sind außerordentlich wichtig. Als die Apostel ihren Auftrag bekamen, was war das erste, was sie taten? Sie gründeten ein Amt für Presse, Medien und Öffentlichkeitsarbeit. Kirche ohne PR, das wäre ja ein Unding. Sie richteten eine Stabsstelle für missionarische Kampagnen ein. Und eine Beratungsstelle für Gemeindegründung und Gemeindeentwicklung. Sie organisierten eine Reihe von Schulungen, um ihre Leute fit zu machen für missionarische Begegnungen.

 

So wäre es gelaufen, wenn wir dir Apostelgeschichte geschrieben hätten. Aber es war ganz anderes.

Was war das erste, dass sie taten? Die richtige Antwort muss lauten: nichts. So zogen sich auch zurück in eine Wohnung in Jerusalem und machten die Tür hinter sich zu. Und dann warteten sie.

 

Wobei, „nichts“ stimmt auch nicht ganz. Sie haben viel gebetet. Sie haben Psalmen gesungen. Sie haben sich ihr Geschichten mit Jesus erzählt, haben sich darüber ausgetauscht, haben reflektiert, und vielleicht bis in die Nacht miteinander geredet. Was man alles so tut, wenn man warten muss.

 

Vielleicht ist Warten-können eines der Dinge, die wir am wenigsten beherrschen. Vor über zehn Jahren schon, ich war damals gerade Mitglied des Vorstandes meines Kirchenkreises, wurden wir mit der Erkenntnis konfrontiert: im Jahr 2030 werden wir nur noch zwei Drittel der Kirchenmitglieder haben. Und die Hälfte der Kirchensteuer. Seitdem schaut uns das Jahr 2030 an wie eine Schlange. Wir haben uns damals entschieden, diese Sicht der Dinge zur Grundlage des kirchlichen Handelns zu machen. Das führte zu Schließung von Kirchen, Abbau von Stellen, Fusionen von Gemeinden usw, sie kennen das ja.

 

Das passiert, wenn man nicht warten kann. Dann muss man planen. Wer plant, darf nicht mit dem Heiligen Geist rechnen. Der würde sämtliche Planungen über den Haufen werfen. Und dann wird im Jahr 2030 wahrscheinlich ziemlich exakt das eintreten, womit man schon gut ein Vierteljahr zuvor gerechnet und was man dem entsprechend eingeplant hat. Und dann wird man im Jahr 2030 stolz darauf sein, wie gut man die Dinge vorausgesehen und vorausberechnet und vorausgeplant hat. Und man wird nicht merken, dass es sich hier um eine „self fulfilling prophecy“ handelt. Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung bewirkt laut Wikipedia, „dass derjenige oder diejenigen, die an die Vorhersage glauben, sich so verhalten, dass sie sich erfüllt“. Wir sind gerade dabei zu lernen, dass der Heilige Geist was völlig anderes von uns braucht als Planung und Berechnung. Der Heilige Geist lässt sich nur erwarten. Die angemessene Haltung gegenüber dem Heiligen Geist ist das Warten. Warten heißt nicht die Zeit vertrödeln. Warten ist weder schläfrig noch ungeduldig. Warten ist nicht passiv, sondern höchst aktiv. Der Wartende ist hellwach. Warten bedeutet hoch gespannte Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Das ist etwas völlig anderes als Planung und Berechnung. Wir müssen uns zwischen beidem entscheiden: Planung? Oder Achtsamkeit? Berechnung? Oder Aufmerksamkeit, Gespür, Sensibel sein? Natürlich, auch die Jerusalemer Christen haben sich organisiert und Strukturen entwickelt. Aber hier tritt die Planung nicht an die Stelle der Erwartung, sondern reagiert auf die Ereignisse.

 

Wie wenig der Heilige Geist planbar und berechenbar ist – und wie sehr die Voraussetzung unseres Glaubens – das macht auch Paulus beides klar. „Ich kam nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu predigen… Ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit“.

 

Wäre die Mission des Paulus das Ergebnis strategischer Planung gewesen, hätte Paulus nie die Chance gehabt, in Korinth zu predigen. Beim Casting wäre er glatt durchgefallen. Die gibt es -zig Leute, die das viel besser können. Und doch übt Paulus eine unvergleichliche Wirkung auf die Leute aus und sie kommen zum Glauben. Paulus tritt nicht auf „mit überredenden Worten der Weisheit", sondern, wie er es formuliert „im Erweis des Geistes und der Kraft“. Man könnte jetzt mal genau untersuchen, was da eigentlich passiert, aber das ist hier nicht unsere Aufgabe. Stattdessen ist der Hinweis wichtig, dass kein Mensch ohne den Heiligen Geist glauben kann. Es ist der Heilige Geist, der das macht. Paulus erklärt auch, warum. Weil nämlich Glauben nur durch einen völlig verändert Blick funktioniert. Dass wir es mit dem Heiligen Geist zu tun haben, merken wir nämlich dadurch, – darauf müssen sie mal achten – dass wir völlig überraschend eine völlig veränderte Sicht der Dinge haben. Aus einem Untergangszenario wird Aufbruchstimmung. Die Welt, die den Bach runtergeht wird zur Schöpfung, die Gott nicht preisgibt und zu erneuern angefangen hat. Aus eine gescheiterten Existenz wir schlagartig ein Hoffnungsträger. Aus dem Delinquenten ein Mensch, dem plötzlich klar ist: Ich bin angenommen. Akzeptiert. „Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden. Der geistliche Mensch dagegen beurteilt alles.“ So formuliert Paulus das.

 

Der Heilige Geist, das ist sein Kennzeichen, ist völlig anders als das, was uns vertraut ist und was wir gewohnt sind. Und trotzdem ist er wirklich, er ereignet sich in der Realität, er bringt völlig unerwartet etwas Neues, was sich nie hätte planen lassen. Die Wirklichkeit verändert und wandelt sich auf überraschende Weise.

Wir werden lernen müssen, dass an die Stelle von Planung und Berechnung das Warten tritt. Das gespannte Warten, hier und jetzt. „Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, jetzt ist der Tag des Heils“, schreibt Paulus im anderen Korintherbrief (2Kor 6,2). Das mag eine ungewöhnliche Sichtweise sein, die uns nicht sehr geläufig ist. Ich vermute aber, wir werden verblüfft sein. Das Warten wird sich als Schlüssel zum Heiligen Geist erweisen.

 

 

(Predigt am Pfingstsonntag 2018 im Altenberger Dom; Predigttext: 1Kor 2,12-16)